Die Kommunistische Partei Italiens und die faschistische Offensive (1921–1924) - ( I )

(Generalversammlung der Partei in Florenz 1967)

(»Kommunistisches Programm«, Nr.22, Juni 1979)

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  Inhalt:

 

- Faschismus, Antifaschismus, Kommunismus

- Die »Vorbeugende Konterrevolution« reift im Schatten der Demokratie heran

- Der Beginn der faschistischen Offensive. Zwei falsche Thesen über den Faschismus

- Der wirkliche Verlauf der »faschistischen Eskalation«

- Die Gründung der Kommunistischen Partei in Livorno. Die historische Notwendigkeit der Spaltung

- Die Bedingungen für die defensive und offensive Aktion des Proletariats

- Der sozialistische Defätismus

- Die Scheinheiligkeit des Maximalismus

- Von den Wahlen bis zum Regierungswechsel

- Der Kampf der Kommunistischen Partei für die militärische Organisierung der Massen
 

 

Ein ausgezeichneter Kommunist, der in der »romantischen« und scheinrevolutionären Phase der italienischen faschistischen Bewegung den proletarischen Kampf gegen Mussolinis Banden an vorderster Front führte, der sich aber nie von den fatalen Positionen des antifaschistischen Opportunismus irreleiten liess, pflegte zu sagen, dass das »schlimmste Produkt des Faschismus der Antifaschismus« gewesen ist. Leute, die an eine reformerische, pazifistische und fortschrittliche Demokratie glauben und die trotz der zahlreichen Schläge, mit denen die kapitalistische Wirklichkeit sie überhäuft, unverbesserlich ihren abgeschmackten Träumen nachhängen, können diese geistreiche Bemerkung freilich überhaupt nicht begreifen. Doch jeder, der vom Marxismus auch nur ein bisschen Ahnung hat, wird die tiefgreifende Wahrheit, die hierin ausgesprochen ist, ohne Schwierigkeiten verstehen. In knappen Worten ausgedrückt, besagt sie folgendes: Der Faschismus war von historisch sehr begrenzter Bedeutung; der Antifaschismus hingegen hat eine dauerhaftere und vom Standpunkt der Interessen des revolutionären Proletariats und des Kommunismus aus gesehen eine weitaus unheilvollere Bedeutung erlangt. Wer das heute nicht begreifen kann, hat die Epoche, in der er lebt, nie auch nur im geringsten verstanden, vom revolutionären Marxismus ganz zu schweigen.

 

 

Faschismus, Antifaschismus, Kommunismus

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Im eigentlichen und engen Sinne hat die faschistische Bewegung in der Tat nur eine begrenzte Aufgabe erfüllt: Sie hat zunächst die Bourgeoisie Italiens, dann Deutschlands und auch anderer Länder, die auf Weltebene von geringerer Bedeutung waren, wie z. B. Spanien, zu einer einheitlichen politischen Partei zentralisiert, sie hat alle Schichten und Fraktionen der Bourgeoisie zusammen gefasst und diszipliniert für die Verteidigung der Interessen des Kapitals. Und soweit bürgerliche Strömungen und Elemente sich schwer taten, die Zeichen der Zeit zu erkennen und sich dieser Klassendisziplin zu unterziehen, hat der Faschismus auch nicht davor zurückgeschreckt, sie mit Gewaltmitteln zur Klassenräson zu rufen. Damit hat die faschistische Bewegung die Bourgeoisien dieser Länder vor einem fürchterlichen politischen und wirtschaftlichen Bankrott gerettet. Sie hat dies in einer bestimmten Epoche und unter ganz bestimmten Umständen getan, nämlich zur Zeit der allgemeinen Krise, die vor allem diese Länder nach dem 1. Weltkrieg und dann infolge der Weltwirtschaftskrise ab 1929 heimsuchte.

Es ist klar, dass ein solcher Sieg der Bourgeoisie entscheidend zum Zusammenbruch der 1919 gegründeten Kommunistischen Internationale beigetragen hat. Als Erfolg der Erhaltungskräfte des Kapitalismus hat er auch viel dazu beigetragen, dass sich die Perspektive Lenins und aller Kommunisten – d. h. die europäische und weltweite Revolution – nicht verwirklichen konnte, sondern statt dessen ein zweiter imperialistischer. Weltkrieg ausbrach. Allerdings müssen wir uns zwei Fragen stellen: Wie konnte es zum Sieg der Bourgeoisie, der in der Machtergreifung der faschistischen und nationalsozialistischen Parteien seinen Ausdruck fand, kommen? Und vor allem: Wie kommt es, dass mehr als dreissig Jahre nach dem Sturz der faschistischen Mächte, die man als das Hindernis schlechthin für den Sieg des Proletariats ausgegeben hat, das Kapital überall auf der Welt weiterhin die politische Macht totalitär innehat? Es genügt, sich diese beiden Fragen zu stellen, um dem Sinn der oben angeführten Bemerkung auf die Spur zu kommen.

Überall, wo die faschistische Bewegung die Macht ergriffen hat, war es vorher zu einer extremen Zuspitzung des proletarischen Klassenkampfes gekommen, der von der Demokratie und namentlich von der Sozialdemokratie politisch entwaffnet und notfalls militärisch niedergeschlagen wurde. Der Faschismus trat erst danach auf die Bühne. Er war nicht die Ursache, sondern die Folge der Niederlage des Proletariats; er war der Gnadenstoss, der verhindern sollte, dass sich das zerschlagene Proletariat wieder erholte.

Als Regierungsmethode gegenüber dem Proletariat hat sich der Faschismus nicht grundsätzlich von der Demokratie unterschieden. Beide setzen jedes nur mögliche Mittel zur Verteidigung der bürgerlichen Klassenherrschaft ein und unterscheiden sich lediglich durch eine verschiedene »Dosierung« dieser Mittel voneinander, was im übrigen auf die Dynamik des Klassenkampfes und die Entwicklung der imperialistischen Konkurrenz und nicht auf den Willen einzelner Individuen oder Gruppen zurückzuführen ist.

Der Faschismus ist kein krankhafter Auswuchs der bürgerlichen Gesellschaft. Er ist nicht etwas ausserhalb dieser Gesellschaft Stehendes oder schlimmer noch, wie einige politische Richtungen daherschwätzen, eine Rückkehr zum vorkapitalistischen Despotismus oder gar eine selbständige Bewegung der Kleinbourgeoisie – aber auf diese zwei letzten falschen Thesen werden wir im übernächsten Abschnitt zurückkommen.

All diejenigen, die wie die italienischen Kommunisten an den Kämpfen 1919 – 1922 teilnahmen, die die Entfesselung der bürgerlichen Reaktion miterlebt und mit eigenen Augen gesehen haben, wie die Arbeiterhochburgen (Druckereien der Arbeiterzeitungen, Arbeitskammern und Volkshäuser) zunächst von den regulären Polizeitruppen des Staates angegriffen und besetzt und dann von den faschistischen Sturmtruppen überfallen und in Brand gesteckt wurden, für alle jene konnte es auch nicht nur einen Augenblick Zweifel daran geben, dass der Faschismus der rechtmässige Sprössling der Bourgeoisie gewesen ist! Sie haben immer gewusst, dass er nur eine andere politische Methode der herrschenden Klasse war, wie man mit einem einzigen Blick auf die Finanzhochburgen, die Justiz, die Repressionskräfte, die Presse und selbst das Parlament leicht erkennen konnte.

Und so haben die Kommunisten auch nie daran gezweifelt, dass diese beiden Herrschaftsformen im historischen Massstab ihre jeweiligen Regierungserfahrungen untereinander austauschen und sich zu eigen machen würden. Es ist eine Tatsache, dass der Faschismus die reformistische Demagogie und die sozialistischen Ansprüche der Demokratie übernommen hat. Dasselbe gilt auch für die Tendenz der Demokratie im imperialistischen Zeitalter, die Arbeitergewerkschaften zu einem Instrument des staatlichen Kontrollapparates über das Proletariat zu machen, eine Tendenz, die der Faschismus nur zu ihren äussersten Konsequenzen geführt hat. Die Demokratie hat ihrerseits nicht allein das gesamte Repressionsarsenal des Faschismus übernommen. Sie hat sich auch die Methoden und Instrumente, die der Faschismus bei seinen disziplinierenden Eingriffen im Bereich der Wirtschaft einsetzte, zu eigen gemacht. Im übrigen konnte der Imperialismus als »höchstes Stadium des Kapitalismus« keine anderen als gerade diese politischen Auswirkungen mit sich bringen.

Die Demokratie konnte aber die uralte Fiktion einer parlamentarischen Regierungsform, der Freiheit der Bürger, der Gleichheit und Brüderlichkeit der Klassen untereinander, des »Rechtsstaates«, beibehalten und nach der Niederlage der faschistisch regierten Staaten im zweiten imperialistischen Krieg auch hier zum Teil (d. h. abgesehen vom Ostblock) wiedereinführen. Das heisst aber nur, dass sie auf die Ergebnisse der internationalen Schwächung des Proletariats bauen konnte, um, ohne die Gefahren einer offenen faschistischem Diktatur einzugehen, das Proletariat in nationale Fronten einzubinden, vor die Karre eines imperialistischen Blocks zu spannen und schliesslich nach dem Krieg beliebig für den Wiederaufbau des Kapitalismus einzusetzen. Das Instrument dieser friedlichen Zusammenarbeit aller Klassen, deren Ergebnis nicht allein die restlose politische Entwaffnung des Proletariats, die totale Aufgabe seiner Klassenselbständigkeit, sondern auch die objektive, materielle Stärkung des Kapitalismus unter Vorherrschaft des mächtigsten Imperialismus, der USA, gewesen ist – dieses Instrument war der Antifaschismus, die bürgerliche Erpressung gegen ein konterrevolutionär geschlagenes und ausgeblutetes Proletariat. Unter dem Vorwand, den Faschismus zu vermeiden – im Klartext: unter der Androhung, entfesselte Gewalt gegen das Proletariat einzusetzen –, hat der Antifaschismus, der sich auf die Mehrzahl der imperialistischen Staaten, auf fast alle kleineren Bourgeoisien und auf die gesamte Kraft des sozialdemokratischen und stilistischen Opportunismus stützen konnte und somit materiell die grösste Kräftezusammenballung darstellte, zu der die internationale Bourgeoisie in ihrer Geschichte gelangte – hat der Antifaschismus also das Proletariat vom Klassenkampf abgelenkt und zur Erhaltung des Status quo mobilisiert. Damit hat er die Kräfteverhältnisse noch weiter gegen das Proletariat verschlechtert, die Konterrevolution gefestigt, ihr die unerhörte Länge verliehen, unter der wir noch heute zu leiden haben. Anstelle der Alternative Kapitalismus oder Kommunismus, bzw. entweder Diktatur der Bourgeoisie oder Diktatur des Proletariats stellte er die Alternative: Faschismus oder Demokratie, die sich als falsche Alternative natürlich nur zugunsten einer Stärkung des Kapitalismus entscheiden konnte.

Nun heisst Stärkung des Kapitalismus zwar, dass der erneute Ausbruch der kapitalistischen Gegensätze in Form von offenen Klassenkämpfen verschoben wird, zugleich aber, dass diese Gegensätze ihrerseits grösser werden, dass sie verzögert, aber verschärft ausbrechen werden. Denn Faschismus und Demokratie haben eine weitere und für uns wesentliche Gemeinsamkeit: sie können die Widersprüche des Kapitalismus nicht endgültig lösen. Unter beiden besteht die Anarchie der Produktion trotz Disziplinierungsversuchen fort und führt zu denselben sozialen Krisen, deren Lösung entweder im imperialistischen Krieg (nämlich die Lösung sowohl des Faschismus wie auch der Demokratie) oder in der proletarischen Revolution (nämlich die Lösung der Kommunistischen Partei) besteht.

Weder der Faschismus noch die demokratische Verbürgerlichung des Proletariats sind also für uns das Ende der Welt oder die »Katastrophe«, die jeden Kampf überflüssig machen würde.

Dies einmal gesagt, so ist der Gegenstand des vorliegenden Berichts (1) über die »Kommunistische Partei Italiens und die faschistische Offensive« nicht eine theoretische Abhandlung über den Faschismus. Es geht uns hier darum, anhand der historischen Tatsachen der Jahre 1919-24 erstens aufzuzeigen, wie in diesen Jahren das perfekte Zusammenspiel aller bürgerlichen politischen Kräfte, der demokratischen wie der faschistischen, zur Verteidigung ihrer Klassendiktatur mit einer geradezu dramatischen Klarheit zu Tage getreten ist. Zweitens wollen wir aufzeigen, mit welch einer entschlossenen Haltung die junge Kommunistische Partei jener Zeit nicht nur der reformistischen Sabotage der oft heroischen proletarischen Kämpfe begegnete, sondern ebenfalls den Aufrufen der Maximalisten (Zentristen), die eine »Wiederherstellung des Friedens« die »Rückkehr zu Recht und Ordnung« und ähnliche Niederträchtigkeiten forderten. In der Tat ist die Kommunistische Partei die einzige Kraft gewesen, die, allein gegen alle anderen, die Frage des Faschismus so gestellt hat, wie sie gestellt werden muss: Sie hat die revolutionären Proletarier dazu aufgerufen, die Herausforderung der Bourgeoisie anzunehmen, der Gewalt mit der Gewalt und dem bewaffneten Kampf mit dem bewaffneten Kampf zu begegnen. Kurzum, sie hat das Proletariat dazu aufgerufen, sich zu verteidigen und sich darauf vorzubereiten, sobald es die Kräfteverhältnisse erlauben würden, zur Offensive überzugehen. In den für die proletarische Bewegung ungünstigen Jahren 1920–22 ist die Arbeiterklasse Italiens mehrmals auf die Strasse gegangen, fest dazu entschlossen, den Kampf aufzunehmen. Und jedesmal hat die Kommunistische Partei mit aller Deutlichkeit erklärt, dass der Feind, den es zu schlagen gilt, der gesamte Repressions- und Ausbeutungsapparat der herrschenden Klasse mit seinen drei Stützpfeilern Demokratie, Faschismus und Reformismus ist.

Unwiderlegbare Tatsachen und Texte sollen also einige Wahrheiten, die dank der opportunistischen Demagogie und Fälschung nur allzu sehr in Vergessenheit geraten sind, wiederherstellen: Der wirkliche Totengräber des italienischen Proletariats ist nicht so sehr die faschistische Bewegung als vielmehr die Sozialdemokratie gewesen, die angesichts der Gewalttaten der schwarzen Banden das Proletariat in jeder Hinsicht entwaffnet hat. Der Faschismus selbst hat seinen Sieg nicht nur mit Hilfe der Gewalt, sondern auch mit Hilfe einer reformistischen Demagogie errungen, an die die Sozialisten der II. Internationale das Proletariat nur allzu sehr gewöhnt hatten. Schliesslich ist die Kommunistische Partei Italiens, die zum damaligen Zeitpunkt von der Linken geführt wurde, die einzige Kraft der Welt, die, ohne unverschämt zu lügen, Zeugnis ablegen kann von einem tatsächlichen, zugleich politischen und militärischen Kampf gegen den Faschismus, einem rein proletarischen Kampf, der von jedem bürgerlichen und opportunistischen Einfluss frei war. Anders gesagt war gerade diese Partei die einzige Sektion der Kommunistischen Internationale, die gegenüber den verheerenden Zugeständnissen, welche die Führung der Internationale an den demokratischen Antifaschismus machte (Zugeständnisse, mit denen der Name des unglücklichen Sinowjew leider für immer verbunden bleibt) eine eindeutige und hartnäckig zurückweisende Haltung einnahm und die opportunistischen Gefahren, die darin für die kommunistische Bewegung lagen, bekämpfte.

Wenn sie im Laufe der faschistischen Offensive besiegt wurde, so aufgrund von Umständen, die stärker als der Wille der besten revolutionären Partei waren. Und die politische Strömung, die damals von ihr verkörpert wurde und ihre Führung darstellte, wurde trotz der militärischen Niederlage nicht politisch liquidiert, wie dies leider für alle anderen kommunistischen Parteien der Welt zutrifft – einschliesslich natürlich für die stalinisierte KP Italiens – die schliesslich schlicht und einfach bei einer Verteidigung der Demokratie landeten. Und dies ist kein Zufall. Denn allein die Tatsache, dass die kommunistische Linke den Kampf gegen die faschistische Bewegung auf marxistische und revolutionäre Weise zu führen wusste, konnte sie davor bewahren, am zweiten imperialistischen Krieg teilzunehmen. Im Gegensatz zu den stalinistischen Parteien beging sie nicht diesen tödlichen Verrat am proletarischen Internationalismus. Und gerade dieser Verrat besiegelte für allzu lange Zeit den Versuch des europäischen und Weltproletariats, sich als internationale kommunistische Partei zu organisieren und somit die Bedingung zu schaffen, die für den Sieg über das Kapital, dem der demokratische Antifaschismus zu einem so langen Überleben verhalf, unerlässlich ist.

 

 

Die »Vorbeugende Konterrevolution« reift im Schatten der Demokratie heran

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In den Jahren nach dem ersten Weltkrieg, als die Proletarier von der Armee entlassen wurden, sah sich die italienische Bourgeoisie einer gewaltigen Welle von Unruhen und Streiks gegenüber. Wenn es ihr gelingen konnte, diese Kraftprobe zu bestehen, wobei ihr im übrigen die internationale Bourgeoisie hilfreich zur Seite stand, so ist dies nicht etwa auf das Auftreten der schwarzen Banden Mussolinis zurückzuführen, sondern vielmehr auf den Einsatz des gesamten legalen Apparates des demokratischen Staates, dessen sich die italienische Bourgeoisie seit der Bildung des Königreiches mit stetem Erfolg bedient hatte. Dieser demokratische Staat, der mit Versprechungen und Schmeicheleien gegenüber der Arbeiterklasse nie knauserig war, hatte in den Fällen, wo es sich als nötig erwies, nie davor zurückgeschreckt, gewaltsame Methoden auch ganz offen einzusetzen.

Die Proletarier, die in den Jahren 1919–1920 auf der Strasse, innerhalb und ausserhalb der Betriebe und auf dem Lande kämpften, stiessen zunächst mit den »legalen« Repressionskräften der herrschenden Demokratie zusammen, die die Arbeiter mit Hilfe der Waffengewalt zurückdrängen sollten. Man setzte die Carabinieri, die Polizei und die Armee ein (wenn nötig auch die Marine und die Luftwaffe), und wenn diese, die im übrigen gleich nach Kriegsende verstärkt worden waren, noch nicht ausreichten, fügte man ihnen noch die Abteilungen der neugebildeten königlichen Garde hinzu. Dieses jüngste Werk Nittis (1919–1920 Ministerpräsident und Innenminister) ermöglichte es nicht nur den bestehenden Staat noch besser zu wappnen, sondern auch jene unruhigen und bedrohlichen Haufen von ausgedienten Soldaten und Abenteurern, von denen es nach jedem Krieg nur so wimmelt, auszuheben und zu disziplinieren. Man organisierte sie also in der königlichen Garde und gab ihnen Waffen in die Hand, damit sie ihre eigenen Rachegelüste und »Frustrationen« als fehlgeschlagene Abenteuerhelden an den Arbeitern und Bauern ausliessen. Man kann sich also vorstellen, welches Schicksal die Arbeiterklasse unter den Kugeln der königlichen und ach so demokratischen Ordnungskräfte zu erleiden hatte. Und wir haben hier auch den plastischen Beweis dafür, dass die erste und entscheidende antiproletarische Repressionswelle gerade von einer Regierung (oder besser einer Reihe von Regierungen) ausging, die streng demokratisch-liberal war und die man heute sogar »fortschrittlich« nennen würde.

Diese Regierung war sich im übrigen auch ganz sicher, dass sie sich auf die gewerkschaftlichen Führer und die Reformisten der PSI (Sozialistische Partei Italiens) sowie auch auf die Dummheit der Maximalisten, die nur wild in der Gegend herumposaunten, verlassen konnte. In perfekter bürgerlicher Logik ging die ganze demokratische Repressionswelle mit der demagogischen Verkündung »sozialer Massnahmen« einher (politische Festsetzung des Brotpreises, Pläne für eine Agrarreform, »Wählbarkeit der Beamten« und schliesslich »Kontrolle der Industrie«). Nicht zuletzt aber wurde sie von dem gewohnten Ruf zu den Wahlurnen begleitet, der schon immer seine lähmende Wirkung auf die Massen gezeigt hatte. Allgemeine Wahlen im Herbst 1919, Provinz- und Gemeindewahlen fast genau ein Jahr später und im Frühjahr 1921 schon wieder allgemeine politische Wahlen. Nitti und Giolitti lösten sich an der Regierung ab, um schliesslich nach den Wahlen vom Mai 1921 dem ehemaligen Sozialisten und ultrareformistischen Bonomi das Staatsruder zu überreichen. Nitti hatte, wie in einem Dokument der Kommunistischen Partei Italiens aus dem Jahre 1923 nachzulesen ist, die Anzahl der Carabinieri auf 65 000 und die der Zollbeamten auf 35 000 erhöht, er hatte 45 000 königliche Garden ausgerüstet und den inneren Geheimdienst neu gestärkt. Giolitti hatte die Armee bei den Kämpfen von Ancona eingesetzt. Ihre Weste als Demokraten war also vollkommen sauber, und zu gutem Recht betrachtet man sie heute als die Väter der italienischen Republik. Ist das Wappen der Demokratie nicht mit Stimmzettel und Gewehr zugleich geschmückt?

Das Proletariat kämpfte mit unermüdlicher Energie. Während die Repressionskräfte des Staates aber die Ordnung wiederherstellten und Stück für Stück eine Lage, die der Bourgeoisie bereits als hoffnungslos erschienen war, wieder unter ihre Kontrolle brachten, konnten die »Wahlerfolge«, ja »Wahltriumphe« der SPI, für die man wertvolle Energien vom bewaffneten Kampf abgelenkt hatte, um sie der Farce des legalen Kampfes zu opfern, das Proletariat in der Illusion wiegen, dass es, trotz des gewaltigen und plötzlichen Aderlasses an seiner vordersten Front, die »Macht« doch praktisch mit den Händen greifen konnte und seine Partie so gut wie gewonnen war. Die Wirklichkeit sah aber so aus, dass die Arbeiterklasse gerade dadurch, dass sie auf den ganzen parlamentarischen Wahlrummel einging, sich materiell und geistig entwaffnet den Schlägen ihres Klassenfeindes aussetzte.

Schon 1920 war das Proletariat von seinem Feind, der nur allzu gut wusste, dass er den Arbeitern bereits die entscheidenden Karten aus der Hand gerissen hatte, in die Defensive zurückgedrängt worden. Und als es im September 1920 zu den Fabrikbesetzungen kam, hatte Giolitti es gar nicht nötig, auf die gewaltsame Methode zurückzugreifen, vor deren Gebrauch er aber im Laufe seiner langen Regierungserfahrungen nie zurück– geschreckt war, und die er bei Bedarf mit seiner Verachtung anzuwenden wusste, die seiner Bezeichnung als »ministro della malavita« nur allzu würdig war (2). In der Tat wusste er, dass weder die CGL (Confederazione generale del lavoro) noch die Sozialistische Partei es riskiert hätten, die Bewegung bis zu ihren äussersten Konsequenzen zu treiben, und dass sie die schwere Last, die Führung der Bewegung zu übernehmen, aufeinander abwälzen würden.

So war auch ein gemeinsames Kommuniqué, das diese beiden Organisationen Anfang September herausgaben und in dem sie damit drohten, sich »die Kontrolle der Betriebe« als Ziel zu setzen, »um eine kollektive Verwaltung und Vergesellschaftung der gesamten Produktion zu erreichen«, von einer gleichzeitigen Einschränkung begleitet. Denn mit einer Art Augenzwinkern gegenüber der Bourgeoisie räumte man in demselben, scheinbar so kämpferischen Kommuniqué ein, dass dies nur für den Fall Geltung habe, »wo es aufgrund der Hartnäckigkeit seitens der Unternehmerschaft oder der Neutralitätsverletzung seitens der Regierung nicht möglich sein sollte, zu einer befriedigenden Lösung des Konfliktes zu gelangen«. Giolitti ergriff also den so prompt angebotenen Ölzweig und entschied sich für die »Neutralität«. Er verzichtete darauf, die Ordnungskräfte zum Sturm auf die besetzten Betriebe anzusetzen, und versprach vielmehr, selbst, im Namen des Staates, »die Kontrolle über die Produktion« zu verwirklichen, konnte er doch mühelos voraussehen, dass die Arbeiterklasse bald an den Grenzen ihres Kampfes scheitern würde: Sie verfügte über keine Führung, die sie auf die Machteroberung gelenkt hätte, sie war in den engen Grenzen der Fabriken eingeschlossen, wurde von ihren politischen und gewerkschaftlichen »Vertretern« daran gehindert, über diese Grenzen hinauszugehen und zeigte darüber hinaus infolge der seit zwei Jahren geführten blutigen Kämpfe erste Erschöpfungserscheinungen. Was ihre Führer anbelangt, die auf »eine Verbesserung der disziplinarischen Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und eine Erhöhung der Produktion« so begierig waren, so konnte Giolitti davon ausgehen, dass die zusätzliche Ankündigung von Stadtratswahlen schon ausreichen würde, um ihnen den Mund wässrig zu machen.

Das letzte Gefecht (und es erübrigt sich zu sagen, auch die »Kontrolle über die Produktion«, die nur für die Beruhigung der Gemüter versprochen worden war) fand nicht statt, denn diejenigen, die hätten angreifen müssen, wurden von ihren falschen Priestern daran gehindert. Und so konnte der Staat, vom hohen Thron seiner »Neutralität« herabblickend, in aller Ruhe abwarten, bis man ihm die Waffen schliesslich friedlich vor die Füsse legen würde. Es kam zu einer Niederlage, aber nicht zu einer jener Niederlagen im offenen Klassenkampf, die tiefe Furchen in der Arbeiterklasse hinterlassen, aber gleichzeitig wieder den Samen für eine Wiederaufnahme des revolutionären Kampfes und des Sieges aussäen. Es war eine kampflose Niederlage, und das ist die schlimmste und demoralisierende, die man sich nur denken kann, ist sie doch ein Beweis der eigenen Ohnmacht.

Erst daraufhin, als also die Bewegung der Betriebsbesetzungen von jener fürchterlichen Welle des Abebben des Klassenkampfes abgelöst wurde, betraten die faschistischen Banden die Bühne des Geschehens. Und sie betraten diese Bühne nicht etwa, um eine unmittelbare proletarische Bedrohung des bürgerlichen Staates, die es ja nicht mehr gab, zu vereiteln, sondern vielmehr mit dem Ziel, das besiegte Proletariat daran zu hindern, sein Haupt erneut zu erheben. Denn in der Tat wussten sie nur allzu gut, dass die Kampfbereitschaft und der Aufopferungsgeist des Proletariats (wie die folgenden Jahre beweisen sollten) noch nicht erloschen waren und dass die Probleme, zu deren Lösung die herrschende Klasse nicht in der Lage war, sich in der Folge mit grösserer Schärfe und Dringlichkeit denn je stellen würden.

Nach der »normalen«, überaus wirksamen demokratischen Repression bedurfte es also jener Repression, die wir als »vorbeugende Konterrevolution« bezeichneten. Sie konnte ihr Handwerk erledigen, indem sie von den Hauptverantwortlichen für die Stabilisierung des Regimes 1921–22, nämlich den Staat, den Parteien der bürgerlichen Demokratie und dem Reformismus, begünstigt, herangezüchtet, geschützt und legalisiert wurde.

 

 

Der Beginn der Faschistischen Offensive. Zwei falsche Thesen über den Faschismus

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Die Fabrikbesetzungen hörten in der zweiten Septemberhälfte des Jahres 1920 auf; im Oktober folgten die Stadtratswahlen. Die zweijährige Offensive der faschistischem Banden fing in Wirklichkeit im November in Bologna an (3): am 4. stürmten die Faschisten die Arbeitskammer, am 21. folgt der Sturm auf den Accursio-Palast (4). Die Bewegung entsteht also in einem ländlichen Gebiet. Ihre Physiognomie und soziale Zusammensetzung, durch die sie sich während ihrer gesamten Offensive gegen die proletarischen Festungen kennzeichnete, sah von Anbeginn folgendermassen aus: bewegliche Sturmtrupps, die sich aus den kleinen Provinzstädten und den Reihen der ausgehungerten und verworrenen Kleinbourgeoisie oder, genauer gesagt, aus den Schichten, die sich noch unterhalb der Kleinbourgeoisie ansiedeln,. rekrutierten: abenteuersuchende Söldner, ehemalige Teilnehmer des Kriegsarditismus und des Unternehmens von Fiume (5), mittellose Elemente aus den Mittelschichten, kleine Intellektuelle auf der Suche nach »Ruhm« und Pfründen usw. Sie bewegten sich mit der Geschwindigkeit von »Blitzmanövern« von Ort zu Ort, was sie aber nicht dem taktischen und strategischen »Genie« ihrer Anführer, sondern der offenen Duldung seitens des Staates zu verdanken hatten. Dabei zielten sie immer auf die Arbeiterfestungen – die Arbeitskammern, die Partei- und Gewerkschaftssitze, Arbeiterzirkel und Genossenschaften. Der einzige Feind, der sich ihnen entgegenstellte, waren die organisierten Arbeiter der Städte und des Landes, konnten die Faschisten doch bei ihren Aktionen mit der wohlwollenden Neutralität und fast immer sogar mit der vollen Unterstützung des Staates rechnen.

Die Tatsache, dass die bewaffnete und »illegale« antiproletarische Offensive von ländlichen Gebieten ausging und zum grössten Teil in Elementen der Mittelklassen ihr Werkzeug fand, konnte zwei falschen Interpretationen des Faschismus den Anschein einer Begründung verleihen. Diese beiden z.T. unterschiedlichen, z.T. miteinander übereinstimmenden Auffassungen kamen bereits damals in Umlauf. Der ersten zufolge ist der Faschismus eine Rückkehr zu den Methoden der klassischen »vorkapitalistischen« oder rechten Reaktion, mit denen die agrarisch-feudalen Grundbesitzer dem »fortschrittlichen« Flügel der Bourgeoisie, der von den Industriellen verkörpert würde, begegneten. Die zweite Auffassung besagt, dass der Faschismus ein äusserster und erfolgreicher Versuch der Mittelschichten war, sich im Hinblick auf eine Revolution zu organisieren, die einer eigenen Ideologie gehorcht und auf unabhängige Ziele gerichtet ist.

Diese beiden Auffassungen haben im proletarischen Lager Verwüstungen angerichtet, deren Folgen wir noch heute zu tragen haben. In der damaligen Zeit tauchten diese Auffassungen nicht nur in der »links«-bürgerlichen und reformistischen Presse auf, sondern auch in den Veröffentlichungen des »Ordine Nuovo« (6), insbesondere Gramscis, dem es 1921, als er seine ersten Schritte in der jungen kommunistischen Partei tat, noch schwerfiel zu verstehen, dass die Staatsmacht immer, in welcher äusseren Hülle sie auch auftreten mag, das Organ einer Klassendiktatur ist (7).

Zwei Zitate Gramscis werden genügen, um die beiden oben erwähnten Aspekte der nicht-marxistischen Auffassung vom Faschismus zu illustrieren. Im ersten behauptet er:

»Als die Sozialistische Partei nach den Fabrikbesetzungen an Kraft eingebüsst hatte, baute die Kleinbourgeoisie in Windeseile ihre militärischen Kader wieder auf und organisierte sich auf nationaler Ebene. Hierzu wurde sie von demselben militärischen Generalstab angetrieben, der sich ihrer bereits während des Krieges bedient hatte… Die städtische Kleinbourgeoisie, die nur ein Spielzeug in den Händen des Generalstabs und der reaktionärsten Kräfte der Regierung war, verbündete sich mit den Agrariern, in deren Interesse sie die Organisation der Bauern zerschlug.« (»Ordine Nuovo«, 2. Oktober 1921).

Das zweite Zitat liest sich wie folgt:

»Die industrielle Bourgeoisie ist unfähig gewesen, die Arbeiterbewegung im Zaume zu halten; weder die Arbeiterbewegung noch die revolutionäre Bewegung auf dem Lande war sie imstande zu kontrollieren. Die erste und spontane Losung der Faschisten nach den Fabrikbesetzungen lautete daher: die Agrarier müssen die städtische Bourgeoisie kontrollieren, die gegenüber den Arbeitern nicht hart genug durchzugreifen weiss… Die ländlichen Klassen, die ursprünglich antikapitalistisch waren, die sich dann mit dem Kapital verbündet haben, aber noch nicht vollständig von ihm einverleibt wurden, haben in der staatlichen Organisation der verschiedenen Länder das Übergewicht bekommen, und sie entfalten dort ihre reaktionäre Tätigkeit mit der ganzen Grausamkeit und erbarmungslosen Entschlossenheit, die sie schon immer kennzeichnete.« Und Gramsci schlussfolgert: »Es handelt sich (beim Faschismus) um ein Phänomen des geschichtlichen Rückschritts« (Rede in der Abgeordnetenkammer vom 16.5.1925).

Die marxistische Linke hat diese zwei Thesen ein für allemal theoretisch widerlegt. Sie hat erstens gezeigt, dass die grossen »Agrarier« ein rein metaphysischer Begriff waren und dass sich diese vermeintliche Kategorie aus zwei ganz realen Komponenten zusammensetzte: den Besitzern der grossen kapitalistischen landwirtschaftlichen Unternehmen einerseits und den absentistischen (in der Stadt lebenden) Grossgrundbesitzern andererseits, die nur eine entartete Soziologie als »Feudalbarone« definieren kann. Ersterbe gehören voll und ganz der herrschenden bürgerlichen Klasse an, letztere sind seit langem in den kapitalistischen Mechanismus integriert, und sie leben in vollkommener Symbiose mit ihm, auf seinem Rücken oder in seinem Schlepptau. Was die zweite These anbelangt, so hat die marxistische Kritik der kleinen und mittleren Bourgeoisie jede eigenständige Existenz und die Fähigkeit zur politischen und sozialen Initiative abgestritten. Ist es nötig, in diesem Zusammenhang an die »Klassenkämpfe in Frankreich« und den »18. Brumaire« von Marx zu erinnern?

Aber selbst wenn man von diesen theoretischen Betrachtungen absieht, so sind die zwei Thesen doch sowohl von den Ereignissen der Jahre 1919–24 als auch von den ihnen notwendig vorausgehenden geschichtlichen Entwicklungen widerlegt worden. Was letztere anbelangt, so hatte sich die »fortschrittliche« Grossbourgeoisie (sowohl die agrarische als auch die industrielle) bereits seit Anfang des Jahrhunderts zu einer »Öffnung« gegenüber den von den Reformisten geführten Arbeiterorganisationen bereit gezeigt. Während sie sich volkstümlich und reformerisch gab, kurzum nach der Art eines Giolitti verhielt, hatte sie gleichzeitig das Ruder des demokratisch-bürgerlichen Staates fest in der Hand. Sie, und nicht die »Rückkehr in die Barbarei« der »Reaktion«, war es, die dem proletarischen Angriff mit Hilfe von Versprechungen und Gewalt zugleich siegreich begegnete und die diese subtile Art des Regierens in den zwei ersten entscheidenden Nachkriegsjahren zur Perfektion brachte. Was die Ereignisse von 1919–24 anbelangt, so lassen sie sich wie in einem Diagramm anhand des Verlaufs der »schwarzen Offensive« verfolgen. Wir werden sie zusammenfassen, bevor wir dann im folgenden auf den Kampf der jungen Kommunistischen Partei Italiens in diesen schweren Jahren eingehen.

 

 

Der wirkliche Verlauf der »Faschistischen Eskalation«

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Die faschistische Offensive begann, wie wir gesehen haben, Ende 1920 in den ländlichen Gebieten des Nordens. Der Faschismus als organisierte Bewegung aber entstand bereits 1919 und zwar in den Städten. Er fand seinen Ursprung nicht in den dunklen »Tiefen« irgendwelcher barbarischer ländlicher Gebiete, in einer neuen Vendée, sondern in der lombardischen Metropole, also im Herzen der Hochfinanz, der Grossindustrie und des Grosshandels. Hier in Mailand befand sich auch 1915 das Zentrum für die Mobilisierung der kleinbürgerlichen kriegshetzerischen Jugend, die sich in den Dienst des Grosskapitals stellte. Und nicht zuletzt stand auch die Wiege des Arbeiterreformismus hier in der lombardischen Metropole.

Der Faschismus entstand also nicht nur unter den Fittichen des Grosskapitals, sondern er wurde von diesem regelrecht hochgezüchtet. Er machte sich den politischen Erfahrungsschatz seiner Beschützer zu eigen und entstand mit einem Programm, das nicht nur die Anwendung von Gewalt vorsah (einer Gewalt aber, die sich abgesehen von sporadischen und »nicht-autorisierten« Fällen, nur langsam in Bewegung setzte), sondern auch und vor allem Reformen beinhaltete. Wenn es darum geht, antiklerikale institutionelle (wie die Abschaffung des Senats) und soziale Reformen zu fordern oder sich gegen das Königtum zu erklären, um als »fortschrittlich« zu gelten, dann bildete der Faschismus von Geburt an die Avantgarde jeden Fortschrittlertums, dann übertraf er sogar die »Fortschrittlichkeit« der heutigen italienischen »Kommunisten«. Der Faschismus schmückte sich mit diesem »fortschrittlichen« Anspruch, da er nur allzu gut wusste, dass dies die einzige Möglichkeit war, um die unzufriedenen Kleinbürger und die diese Unzufriedenheit zum Ausdruck bringenden »Intellektuellen« en bloc an sich zu ziehen (Schichten, die im übrigen nie dazu in der Lage sind, sich selbst zu organisieren und zu mobilisieren, sondern immer von anderen organisiert und mobilisiert werden). Nicht zuletzt konnte der auch nur mit einem solchen Auftreten einen Teil der Arbeiteraristokratie für sich gewinnen.

Der Faschismus entsteht in den Städten. Er dehnt sich aber sehr schnell auf das Land aus wo er die »Agrarier« erobert. Und in welchen Gebieten geschieht das? Genau in jenen, wo die Landwirtschaft rein kapitalistisch organisiert ist: in der Poebene, der Emilia und der Romagna. Also dort, wo seit mehr als 50 Jahren der Schauplatz lag, auf dem der Kampf der Tagelöhner, d. h. reiner landwirtschaftlicher Lohnarbeiter sich abspielte und wo eine rein bürgerliche Unternehmerschaft, die auch nicht mehr die leiseste feudale Spur aufwies, diesen Kämpfen mit grausamster Repression begegnet war. Dort, wo angeblich das Jagdrevier der »Landbarone« liegt, d. h. in Süditalien, gab es den anfänglichen Faschismus nicht. Sofern er hier entsteht und sich schnell entwickelt, geschieht dies nur in denjenigen Gebieten, wo, wie in Apulien, die sozialen und Produktionsverhältnisse auf dem Antagonismus von Lohnarbeit und Kapital beruhen. Die städtischen und ländlichen Grossbourgeoisien greifen sich gegenseitig unter die Arme, um sich zu organisieren. Sie weisen beide die Fähigkeit auf, sowohl Gewalt anzuwenden als auch sich »fortschrittlich« zu geben und zum Zwecke der Verteidigung ihres gemeinsamen Erbgutes sind sie bereit, sich ihre Arbeit wohlweislich zu teilen. Man fragt sich, wo hier die »Agrarier« sind, die die städtischen Industriellen kontrollieren sollen!

Im Norden setzte die faschistische Offensive (die man von der faschistischen Bewegung unterscheiden muss) aus rein taktischen Gründen in den Gebieten kapitalistischer Landwirtschaft ein: ihr eigentliches strategisches Ziel sind die grossen proletarischen Ballungszentren, insbesondere das industrielle Dreieck Lombardei-Ligurien-Piemont und natürlich die politische Hauptstadt. Um aber diese hochtrabenden Ziele zu »erklimmen«, setzte die Offensive an den am leichtesten zu treffenden Stellen der proletarischen Front an: in den ländlichen Gebieten, wo das Proletariat verstreut ist, in den Provinzstädten, wo es leichter ist, das kleinbürgerliche Gesindel für abenteuerliche Blitzaktionen zu mobilisieren; in den Gebieten, wo es relativ einfach ist, die verschiedenen Schichten, aus denen sich die Bauernschaft zusammensetzte, gegeneinander auszuspielen. (So beginnen die Faschisten bereits 1920, im Gebiet von Ferrara das Land zu besetzen und aufzuteilen. Eine gute Taktik, um das gefährliche Bündnis zwischen Kleinbauern oder Halbpächtern und Landarbeitern zu zerbrechen). Sie greifen dort an, wo die Arbeitermassen schutzlos sind, wo dieselben Lohnarbeiter, die ausgesprochen stark sind, wenn sie massenhaft auf die Strasse gehen, als zerstreute und isolierte »Bürger« leicht verwundbar sind. Sie greifen in den Gebieten an, wo der Reformismus eines Prampolini dem mächtigen Druck der Landarbeiter ein wirksames Gegengewicht entgegensetzt. In allen diesen Gebieten hofft die Bourgeoisie, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können. Sie hat ein langes Gedächtnis. Sie weiss, ein wie gefährlicher Feind das Landproletariat sein kann und wie sehr seine »Aufsässigkeit« die grossen Grundbesitzer beunruhigt. Man muss also draufhauen und hier die Offensive beginnen. Die Bourgeoisie greift ihren Klassenfeind zuerst erbarmungslos auf dem flachen Lande an, um dann lorbeergekränzt in die Städte zurückzukehren und dort ihren Klassenfeind in den Fabriken und Arbeitervierteln zu besiegen. Feig wie immer, wagt es die italienische Bourgeoisie nicht, zu früh die proletarischen Festungen, wie die städtischen Arbeiterviertel in den Industriemetropolen, anzugreifen; nicht einmal an die Armenviertel der überaus bürgerlichen Stadt Rom, die aber auch von vielen Arbeitern bewohnt werden, wagt sie sich heran. Sie braucht zwei Jahre, um einen solchen Angriff zu beginnen, und sie tut dies erst, nachdem sie sich die Rückendeckung gesichert hat, nachdem sie den Widerstand der Arbeiter in der Provinz und auf dem Lande gebrochen hat. Dort, wo sie schon vorher ein solches Unternehmen startet (wie in Turin, Mailand, Genua und Rom) muss sie sich überstürzt zurückziehen, ernste Beulen einstecken und die ersten Toten hinnehmen. Von der Emilia-Romagna und der niederen Lombardei aus versucht sie mühsam, gen Süden, Norden und Nordwesten weiter vorzustossen. Wenn sich die faschistische Offensive in der Toscana – die auch auf dem Lande eine kämpferische Provinz war – entfesseln konnte, so nur weil dieses Gebiet gleichzeitig auch eine fast unerschöpfliche Quelle für deklassierte und karrieresüchtige Kleinbürger war. Sie dringt nach Marken, Umbrien und Latium vor, wobei sie immer auf dasselbe zielt: die Arbeiterzirkel, die Arbeitskammern, die Sitze der Kommunistischen und, wenn auch in einem geringeren Masse, der Sozialistischen Partei, die Redaktionen der proletarischen Zeitungen sowie einzelne Militanten. Als die proletarischen Festungen gefallen sind, kann dann auch Mussolini zur Belohnung seinen »Marsch auf Rom« … im Schlafwagen bekommen. Und alle Fraktionen der Bourgeoisie werden ihm Staatssekretäre und Minister zur Verfügung stellen.

Es ist die grosskapitalistische Konterrevolution, die im Laufe dieser ganzen Einkreisungskampagne voranschreitet und die, während sie die Trupps der Spiessbürger als Bollwerk vor sich herschiebt, nur auf einen einzigen Feind zielt: die Arbeiterorganisationen.

Die Angriffswelle der Faschisten auf die Städte und kleineren Ortschaften, die, bevor sie gestürmt werden, hart von den Arbeitern verteidigt werden, führt zu einem Crescendo, das sich mit wenigen Angaben dokumentieren lässt: am 20. Dezember 1920 fällt Ferrara, am 24. Januar 1921 Modena, am 9. Februar Triest (wo der Sitz der Zeitung »Lavoratore« zerstört wird). Ende Februar sind Minervino, Murge und Bari an der Reihe. Am 27.–29. Florenz, wo Spartaco Lavagnini, ein kommunistischer Militanter und Gewerkschaftsführer, ermordet wird; am 1. März Empoli, am 4. Siena, am 22.-26. Perugia und Terni, am 31. Lucca, am 2. April Reggio, am 12. Prato, Foiano di Chiana und Arezzo, am 19. Parma, am 20. Mantua, am 22.-23. Piacenza, am 2. Mai Pisa und am 5. Neapel. Und während die Arbeitskammern und die Gewerkschaftssitze, die Zeitungsredaktionen und die Sitze der proletarischen Parteien in Flammen aufgehen, während die Arbeiter von Stadt und Land mit Heldenmut kämpfen und dem Gegner oft höhere Verluste zufügen, als sie selbst erleiden, kurzum während Feuer und Schwert auf der italienischen Halbinsel herrschen und die Klassen sich ein tödliches Gefecht liefern, erschallt wieder einmal mehr der unvermeidliche Ruf: Zu den Wahlurnen! Aus dem Waffenarsenal der Demokratie zieht Giolitti jetzt die andere Triumphkarte hervor: das Spektakel der politischen Wahlen.

Wird man jetzt etwa immer noch behaupten wollen, dass die »agrarische Reaktion«, indem sie sich auf die »reaktionärsten Elemente« an der Spitze des Staates stützte, die »fortschrittlichen demokratischen« Industriellen dazu gezwungen hat, gegen ihren eigenen Willen zu handeln? An der Spitze des Staates befand sich die reformerische Demokratie Giolittis. Und sie war es, die mit den Faschisten bei den Stadtratswahlen von 1920 einen Block bildete. Sie war es, die in die Konflikte zwischen den Faschisten und Arbeitern immer wieder eingriff, um den verfehlten Helden im Schwarzhemd den Boden zu ebnen und zum Sieg zu verhelfen. Nach den Massakern von Ferrara war es Giolitti, der den Befehl zur »Entwaffnung« in der Provinz Emilia gab. Die Polizisten und Carabinieri durchsuchen die Wohnungen der Arbeiter und Landarbeiter und beschlagnahmen ihre Waffen, vor den Waffen der Faschisten aber drücken sie beide Augen zu. In Florenz sind es nicht die faschistischen Abteilungen, sondern Panzereinheiten der Armee und der Carabinieri, die nach drei Tagen härtester Kämpfe den heldenhaften proletarischen Widerstand in dem Stadtviertel Scandicci niederschlagen. In Empoli, Signa und Prato, Arbeiterfestungen, die um keinen Zoll breit nachzugeben bereit sind, finden die Faschisten in den Kasernen ein bequemes Quartier. In Pisa ist es der kommandierende Divisionsgeneral, der die Tür den Arbeitskammer, die nicht von alleine aufgehen wollte, mit Kanonen einschiessen lässt. Die Justiz ihrerseits verurteilt die Schuldigen, d. h. wie immer… die Linken. Und dennoch kämpfen die Arbeiter, die schon zwei stürmische Jahre hinter sich haben, die von der Sozialistischen Partei im Stich gelassen worden waren und ganz allein der bürgerlichen Front gegenüberstehen, weiterhin mit einer unglaublichen Kühnheit. Nachdem sie in Bologna überrumpelt wurden, starten die Arbeiter in Ferrara, Modena und Florenz einen Gegenangriff. In Apulien errichten die Landarbeiter wiederholt Strassensperren gegen die alten »mazzieri« Giolittis und ihre in Schwarzhemden verwandelten Söhne und Enkel. Unmittelbar nach der Gründung der Kommunistischen Partei Italiens in Livorno nehmen die militärischen Organisationen der Kommunistischen Jugend nicht nur die Verteidigung auf, sie greifen auch an. Die Proletarier zählen ihre Toten nicht. Aber die Bourgeois stellen auch auf diesem Gebiet eine Bilanz auf und sie müssen feststellen, dass entgegen allen Hoffnungen auf ein schnelles Wachstum ihrer »Skalp-Einnahmen« ihre Bilanz negativ zu werden droht. Jetzt oder nie gilt es eine Pause einzulegen, um den Gegner einzuschläfern und die eigenen Kräfte wiederherzustellen. Die Gelegenheit könnte nicht besser sein: Es leben die Wahlen!!!

Wie man sieht, handelt es sich hier um etwas ganz anderes als um die »Rückkehr« zur Gesellschaftsordnung, die vor dem Sieg der bürgerlichen Revolution und ihrer ewigen Prinzipien bestanden hatte. Und der Titel dieses Geschehens, dessen wirkliche Entwicklung wir von Anbeginn dargestellt haben, lautet keineswegs »fortschrittliche industrielle Demokratie contra agrarisch-feudale Reaktion« und weniger denn je »Revolution der Kleinbourgeoisie«. Den Titel, unter dem jene Ereignisse abliefen und der physisch in die Geschichte eingebrannt wurde, war die einzige und weltweite Alternative, die die Nachkriegszeit auf die Tagesordnung gesetzt hatte: Entweder Diktatur der Bourgeoisie oder Diktatur des Proletariats!

 

 

Die Gründung der Kommunistischen Partei in Livorno

Die historische Notwendigkeit der Spaltung

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Die oben geschilderten Ereignisse bilden den Hintergrund, vor dem sich im Januar 1921 in Livorno die Spaltung der alten sozialistischen Partei vollzieht. Aus diesem chirurgischen Eingriff, der schon seit langem von der Linken gefordert worden war, geht die junge Kommunistische Partei Italiens hervor. Sie ist bewaffnet mit einem Programm, das, wie dies schon seit der Oktoberrevolution und der gesamten Kriegsperiode klar zum Vorschein kam, mit dem der Bolschewiki in allen grundlegenden Fragen übereinstimmt, und sie kann bereits auf die positive Bilanz eines konsequenten Kampfes gegen den Reformismus zurückblicken. Diese junge Kommunistische Partei ist sich über das Wesen der Demokratie völlig im klaren:

»Die heutigen Produktionsverhältnisse werden vom bürgerlichen Staat geschützt und verteidigt. Dieser Staat, der auf dem Vertretungssystem der Demokratie beruht, bildet das Verteidigungsorgan der Interessen der kapitalistischen Klasse« (Punkt 2 des »Programms von Livorno«).

Ebenso klar ist sie sich darüber, dass die bewaffnete faschistische Offensive lediglich den schärfsten Ausdruck der »einzigen Alternative« bildete, die sich den »Proletariern Italiens wie der ganzen Welt« aufgrund des Krieges und des bürgerlichen Friedens aufdrängte: »entweder Diktatur der Bourgeoisie oder Diktatur des Proletariats«. Unmittelbar nach ihrer Konstituierung erklärt die Kommunistische Partei:

»Arbeiter, wer immer euch vom Wege abbringen und davon überzeugen will, dass die gewaltsame Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates nicht das einzige Mittel ist, um die unzähligen Opfer des Kapitalismus zu erlösen; wer immer euch ideell und materiell entwaffnet, indem er euch friedliche Aktionsmittel predigt, während die Bourgeoisie selbst sich ganz offensichtlich auf den bewaffneten Kampf vorbereitet und die Offensive gegen euch aufnimmt; wer auch immer so zu euch spricht, der macht sich bewusst oder unbewusst zu einem Verräter der proletarischen Sache und einem Diener der Konterrevolution« (»Manifest für die Demonstration« vom 20. Februar 1921).

Die marxistische Linke hatte die Spaltung nicht über sich ergehen lassen müssen, sondern sie hatte sie aufgrund eng miteinander verflochtenen theoretischer und praktischer Erwägungen angestrebt: In jenen Monaten der entfesselten bürgerlichen Reaktion war so deutlich wie nie zuvor geworden, dass die »Einheit« der sozialistischen Partei, die verbissen vom maximalistischen Zentrum Serratis verteidigt wurde, in Wirklichkeit nichts anderes bedeutete als eine Kapitulation vor der Rechten Turatis, dass diese Einheit die Proletarier, die sich blindlings in den Strassen schlugen, nur daran hinderte, unter einer zielbewussten, tatkräftigen und zentralisierten Führung zu kämpfen. Die falsche und verlogene Einheit – die Einheit mit den erklärten oder verkappten Reformisten – bildete die Bleikugel am Fusse des heldenhaften Proletariats, das sich nicht nur mit den »illegalen« Kräften des Faschismus, sondern auch mit den legalen Kräften des demokratischen Staates einen ungleichen Kampf lieferte. Im Zerbrechen dieser Einheit bestand deshalb überhaupt die erste Voraussetzung, um den verzweifelten Widerstand des Proletariats zu sichern und zum gegebenen Zeitpunkt die auf den Umsturz zielende proletarische Gegenoffensive zu starten.

Der Verlust dieser oder jener Stadtverwaltung (und sei es die traditionell »rote« Stadtverwaltung von Bologna) liess die Linke keineswegs Tränen der Verzweiflung vergiessen, denn sie wusste nur allzu gut, dass sich die begonnene grosse Schlacht zwischen den Klassen niemals auf dieser Ebene entscheiden würde. Aber unmittelbar nach dem Sturm auf den Accursiopalast von Bologna zog die Linke in der Ausgabe des »Il Comunista« vom 5. Dezember 1920, dem Organ der kommunistischen Fraktion der PSI, die folgende allgemeine Lehre aus diesen Ereignissen:

»Die Ereignisse in Bologna, wo die regulären und irregulären Organisationen der Bourgeoisie, Polizei und Faschisten, eine kühne aggressive Haltung eingenommen haben, können, was in der Tat bereits geschieht, als Argument für die These von der Einheit ausgebeutet werden: Wir werden angegriffen, rücken wir zusammen, um uns zu verteidigen! Eine derartige Einschätzung der beredten Lektion, die uns soeben erteilt wurde, ist völlig verfehlt und sogar absurd. Die Einheit der Partei existiert in der Tat immer noch, sie war während der ganzen Wahlkampagne ungebrochen, und dennoch brach die Verteidigung zusammen. Warum? Aus dem sehr einfachen Grund, dass die formale Einheit eigentlich eine Einheitsfront für Wahlerfolge darstellt. Sie bildet aber keine Einheitsfront für die direkte Aktion, weder die Defensive geschweige denn die Offensive!!! Die Partei, die für die traditionellen friedlichen Aktionen gebildet und geschult wurde, erweist sich jetzt, wo dieses Stadium überholt ist und die Lage uns vor ganz andere Notwendigkeiten stellt, als völlig handlungsunfähig… Die Lehre, die wir aus dieser Tatsache zu ziehen haben, ist, dass das Zusammenleben von Rechten und Linken in derselben Partei tödlich ist. Wenn wir eine homogene und kompakte Partei haben werden, eine Partei von Anhängern der defensiven und offensiven Gewaltanwendung, dann werden wir unsere Aktionen in völliger Übereinstimmung und ganz bewusst planen und Überraschungen oder überstürzte Rückzüge vermeiden. Es kann sein, dass wir dann Stadtverwaltungen, wie zum Beispiel Bologna, nicht einnehmen, weil wir wenige sein werden. Sollten wir sie einnehmen, so werden wir sie mit Gewalt zu halten wissen. Und sollten wir sie nicht über die Wahlen gewinnen können, so wird der Tag kommen, an dem wir sie mit denselben Mitteln erobern werden, mit denen die Faschisten sie uns heute entrissen haben, die uns damit ein lehrreiches Beispiel lieferten.«

Aufgrund sowohl praktischer als auch theoretischer Erwägungen, nämlich der brutalen Sprache der Tatsachen einerseits und prinzipiellen Gründen andererseits, wurde die Spaltung immer dringlicher. Die Linke hatte diese Spaltung schon seit 1919 gefordert, und lediglich die Tatsache, dass die anderen Gruppen, die dann in die Kommunistische Partei eingingen, die Notwendigkeit einer Spaltung zur Rettung des Proletariats leider nur allzu langsam erkannten, zögerte diesen Schritt hinaus. Unter dem Deckmantel der Einheit, die von den Maximalisten, diesen Revolutionären der Phrase, verteidigt wurde, hatte der Reformismus freie Hand, um die Arbeiterklasse an Händen und Füssen zu fesseln und schliesslich in rührseligem Einverständnis mit der »Polizei und den Faschisten« geradewegs niederzustechen. Nachdem er die prinzipiellen Gründe, die zur Bildung den Kommunistischen Partei Italiens führten, dargelegt hatte, ging der Bericht der kommunistischen Fraktion auf dem Kongress von Livorno zu den praktischen Argumenten für die unaufschiebbare Spaltung über, die auf den blutigen Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre beruhten:

»Die Kommunisten haben die Aufgabe, den Massen zu zeigen, dass die Revolution unumgänglich ist. Auf dieser Grundlage können und müssen sie folglich die Voraussetzungen schaffen, die die Siegeschancen des Proletariats erhöhen. Sie müssen es geistig und materiell vorbereiten und dafür Sorge tragen, dass es unter einer zur Führung fähigen Klassenpartei gestählt und auf alle Erfordernisse der revolutionären Aktion technisch vorbereitet den Kampf aufnehmen kann. Die Reformisten und Sozialdemokraten hingegen versichern den Massen, dass die Revolution vermeidbar oder gar unmöglich sei. Sie liefern also die Massen jener Krise, die zu vermeiden sie übrigens nicht in der Lage sind, unvorbereitet aus. Und wenn diese Krise ausbricht, wird sich das Proletariat aufgrund ihrer vergangenen Arbeit nicht nur in einer Lage befinden, die den bürgerlichen Kräften den Sieg erleichtert, sondern sie selbst werden dazu übergehen, diesen bürgerlichen Kräften ihre Unterstützung zu gewähren.«

»Worin besteht die Funktion einer Partei, in der die Revolutionäre mit den Reformisten vereint sind? Darin, eine ernsthafte revolutionäre Vorbereitung hinauszuzögern und die Aktion der Linken zu lähmen, während sich die der Rechten unter den günstigsten Bedingungen entfalten kann, zumal diese Aktion nicht so sehr in der Ausarbeitung von Reformen besteht, die aufgrund der historischen Umstände nicht zu verwirklichen sind, sondern vielmehr in einem passiven Widerstand gegen die revolutionären Tendenzen, einem Widerstand, der sich, wenn alle anderen Mittel versagen, in einen aktiven Widerstand verwandeln wird.«

Der so notwendige chirurgische Eingriff wurde vollzogen. Und während sich der Faschismus, dem Demokratie und Reformismus als Steigbügelhalter dienten, gegen die Arbeiter entfesselte, während die Sozialdemokraten und Maximalisten sich über das »Niedertreten der Gesetze« und den »Umsturz der Ordnung« beklagten und an Vater Staat appellierten, damit er erstere verteidige und letztere wiederherstelle, nahm die junge Kommunistische Partei ihre schwierigen Aufgaben ohne Zögern und unter dem ständigen Beschuss des Gegners in Angriff. Im Februar war der Sitz des »Lavoratore« in Triest gestürmt und zerstört worden. Der Kommunist Tuntar und seine Genossen von Triest wurden seitdem im Gefängnis festgehalten. Edmondo Peluso war »grundlos« auf die Insel Santo Stefano verbannt worden. Ersilio Ambrogi war nach den Ereignissen von Cecina wegen Totschlags als gewöhnlicher Verbrecher vor Gericht gestellt worden. Vor kurzem erst war Spartaco Lavagnini in Florenz unter den Bleikugeln der Faschisten gefallen. Hunderte von unbekannten Proletariern liessen jetzt ihr Leben auf der Strasse oder gerieten in die Fänge der »gerechten« königlichen Justiz. Selbst noch dabei, ihr eigenes organisatorisches Netz aufzubauen, nahm die kommunistische Partei den ihr von der bürgerlichen Front hingeworfenen Fehdehandschuh ohne Zögern auf und rief das italienische Proletariat am 3. März zum Kampfe auf. Sie konnte es tun, weil es seit dem Bruch mit den Reformisten zwischen ihrer Theorie und ihrer Aktion keinerlei Widerspruch mehr gab. Und sie musste es tun, um den Kampfwillen des Proletariats zu unterstützen und zu fördern. Und sie erfüllte diese Aufgabe allein gegen alle anderen.

 

 

Aufruf gegen die faschistische Reaktion

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»Genossen!

In der gegenwärtigen tragischen Stunde ist es die Aufgabe der Kommunistischen Partei, sich an Euch zu wenden.

In zahlreichen Städten und Regionen Italiens wiederholen sich die blutigen Zusammenstösse zwischen dem Proletariat und den regulären und irregulären Kräften der Bourgeoisie mit wachsender Geschwindigkeit. Unter den vielen bekannten oder unbekannten Opfern muss die Kommunistische Partei den Verlust eines ihrer wertvollsten Militanten verzeichnen: Spartaco Lavagnini, der in Florenz auf dem verantwortungsvollen Posten, den er dem Proletariat und seiner Partei gegenüber innehatte, gefallen ist. Ihm und allen gefallenen Proletariern zum Gedenken sprechen die Kommunisten einen Kämpfergruss aus, und stärken sich an dem Beispiel ihrer Aktion und ihres Glaubens.

Die sich überstürzenden Ereignisse beweisen, dass das revolutionäre Proletariat Italiens unter den Schlägen der Reaktion nicht nachgibt. Es weicht nicht zurück vor der reaktionären Methode, die die bürgerliche Klasse und ihre Regierung seit einigen Monaten mit Hilfe der bewaffneten weissen Banden anwendet, die die nach ihrer eigenen Emanzipation strebenden Arbeiter in gewalttätiger Weise angreifen. Vom roten Apulien, dem proletarischen Florenz und noch vielen anderen Zentren erreichen uns Nachrichten, die beweisen, dass das Proletariat trotz der Unterlegenheit seiner Mittel und seiner geringeren Vorbereitung den Angriffen zu entgegnen, sich zu verteidigen und seine Gegner anzugreifen wusste. Die Unterlegenheit unseres kämpferischen Proletariats – die zu verschweigen unnütz wäre, rührt von seiner mangelnden revolutionären Organisierung her. Nur die kommunistische Methode kann dem Proletariat durch den Kampf gegen die alten Führer und ihre überholten Methoden der pazifistischen Aktion diese Organisation geben. Die Schläge der bürgerlichen Gewalt zeigen den Massen die Notwendigkeit, die gefährlichen Illusionen der Reformisten aufzugeben und sich derer zu entledigen, die einen sozialen Frieden predigen, der geschichtlich nicht möglich ist. Aufgrund der Theorie und Taktik der Kommunistischen Internationale hat die Kommunistische Partei die klassenbewussten Kräfte des italienischen Proletariats dazu aufgerufen, sich zusammenzuschliessen, um sich, die Vorbereitung und Organisation zu geben, die dem Proletariat bislang gefehlt haben und bisher nur in demagogischer Prahlerei bestanden. Sie predigt weder die Beruhigung der Geister noch den Verzicht auf die Gewalt und erklärt den Arbeitern klar und deutlich, dass ihre Waffen nicht nur die metaphorischen oder abstrakten Waffen der Propaganda, der Überzeugung oder demokratischen Legalität sein können. Sie verkündet mit Begeisterung ihre Solidarität mit denjenigen Arbeitern, die der Offensive der Weissen mit denselben gewaltsamen Mitteln begegnet sind. Die Kommunistische Partei weist die Arbeiter darauf hin, dass die Führer jener Organisationen, die scheinheilig vor dieser Verantwortung zurücktreten und die blöde Utopie eines zivilisierten und ritterlichen sozialen Kampfes verbreiten, über die sich der Feind nur zu Recht lustig macht, die schlimmsten Feinde sind: denn sie tragen den Defätismus in die Massen und fördern immer dreistere Taten der Reaktion. Die Bourgeoisie führt heute den Kampf auf einem Boden, auf dem sie durch die sie zerfleischende tödliche Krise unweigerlich getrieben wurde. Die Losung der Kommunistischen Partei besteht darin, den Kampf auf genau demselben Boden aufzunehmen, der Vorbereitung mit der Vorbereitung zu begegnen, der Organisation die Organisation, der Disziplin die Disziplin, der Gewalt die Gewalt und den Waffen die Waffen entgegenzusetzen.

Dies ist die beste Vorbereitung für die Offensive, die die proletarischen Kräfte eines Tages unweigerlich gegen die bürgerliche Macht entfesseln werden und die den Epilog der heutigen Kämpfe bilden wird.«

Diese Richtlinien bildeten die Grundlage für den Aufbau der militärischen Organisation der Partei und sollten ferner die zahlreichen namenlosen Kämpfer in den Reihen des Proletariats in der Zwischenzeit in ihrem Kampf stärken und anspornen. Die Partei kannte die Schwierigkeiten, die noch mühsam überwunden werden mussten, um der mächtigen spontanen Aktion der Massen eine politische Führung und eine einheitliche Organisation zu geben, ganz genau. Sie wusste, dass diese Schwierigkeiten vor allem darauf zurückzuführen waren, dass die legalistische und pazifistische Sozialistische Partei noch immer über grossen Einfluss in den Massen verfügte. Sie hat diese Schwierigkeiten nie vor der Arbeiterklasse verheimlicht, und ihr Aufruf enthält auch nicht einen Funken von Demagogie: Er fordert die Arbeiter direkt dazu auf, sich der Notwendigkeit bewusst zu werden, dass man der unerbittlichen Härte der legalen und »illegalen« bürgerlichen Reaktion mit Mitteln begegnen muss, die denen der reformistischen Vergangenheit der Partei genau entgegengesetzt sind – Mittel, deren Vorbereitung und Anwendung die kommunistische Partei sich zum Ziel setzt.

In dem »Manifest« heisst es weiter:

»Die Aktion und die Vorbereitung müssen immer wirksamer und planmässiger werden und man darf dabei auch nicht die geringste Spur von demagogischer Rhetorik dulden. Wir können in der heutigen Lage jedoch nicht umhin festzustellen, dass es noch viel zu tun gibt, damit der proletarische Gegenschlag gegen die feindlichen Angriffe die Form einer allgemeinen und koordinierten Aktion gewinnt, die allein den entscheidenden Sieg wird sichern können.

Um eine solche allgemeine, landesweite Aktion zu verwirklichen, könnte das Proletariat heute auf keine anderen als die alten, schon so oft angewandten Aktionsformen zurückgreifen. Die Führung dieser Aktionen würde angesichts des gegenwärtigen Entwicklungsstandes der Klassenorganisationen wenn nicht vollständig, so doch grösstenteils in den Händen jener sei es politischen oder ökonomischen nationalen Organisationen liegen, deren Methoden und Strukturen nur zu neuen Enttäuschungen führen können. Sie würden die Massen auf einen Weg lenken, der zweifelsohne damit endet, von ihren Führern entweder gebremst oder im Stich gelassen zu werden [und wie oft sollte sich diese Voraussage inmitten des Kampfes bewahrheiten! d. R.], und dies, weil die Reformisten nach wie vor wichtige Führungsposten in den Apparaten usurpieren. Die Kommunistische Partei wird keine allgemeine Aktion unternehmen, die unter einer solchen Perspektive und in Verbindung mit solchen Elementen durchgeführt würde, es sei denn die Situation lässt ihr keine andere Wahl und zwingt sie zu einer solchen Aktion. Beim gegenwärtigen Stand der Dinge vertritt die Kommunistische Partei die Auffassung, dass man keine Aktion im nationalem Massstab befürworten darf, die von denjenigen geführt wird, deren Methoden nur zur Katastrophe führen können. Sollte es zu einer solchen Aktion kommen, so wird die Kommunistische Partei ihre Aufgabe erfüllen und die Gegner der Revolution in jeder Hinsicht strengstens überwachen, damit das Proletariat am Höhepunkt seines Kampfes nicht verraten wird.

Die Kommunistische Partei gibt ihren Militanten daher heute die Anweisung, auf lokaler Eben an allen Fronten den Angriffen der Weissen Widerstand zu leisten, die revolutionären Methoden zu verbessern und den Defätismus der Sozialdemokraten anzuprangern, denn letztere könnten von den weniger klassenbewussten Arbeitern irrtümlicherweise für mögliche Verbündete in der Gefahr gehalten werden.

Es kann sein, dass die einzuhaltenden Richtlinien so bleiben werden oder auch verschärft werden müssen. In jedem Falle weiss die Zentrale der Partei, dass alle Kommunisten, vom ersten bis zum letzten, im Gedenken an unsere jüngsten Opfer und in voller Verantwortung als Vertreter der revolutionären Kommunistischen Internationale ihre Pflicht vollständig erfüllen werden.

Es lebe der Kommunismus! Es lebe die Weltrevolution!

Die Kommunistische Partei Italiens (Kommunistischer Jugendverband Italiens)«

 

 

Die Bedingungen für die defensive und die offensive Aktion des Proletariats

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Es war das erste Mal in dieser stürmischen Nachkriegszeit, dass die italienischen Proletarier eine so direkte, so offene, so anfeuernde und mutige Sprache vernahmen. In dem oben zitierten »Manifest« werden zwei Punkte besonders hervorgehoben, die in den folgenden Monaten immer wiederkehren sollten. Der erste Punkt: Die Partei sagt zu sich selbst und zu den Proletariern: Wir befinden uns leider in der Defensive, nicht weil wir es etwa so wollen, sondern weil wir hierzu aufgrund von Umständen gezwungen sind, die nicht von unserem Willen abhängen. Wir müssen uns selbst verteidigen, denn niemand ausser uns selbst wird uns zu Hilfe kommen. Wir können uns auf dem Boden, den die Bourgeoisie gewählt hat und auf dem sich, wie wir wissen, die entscheidende Schlacht zwischen den Klassen abspielen wird, nur unter der Bedingung verteidigen, dass wir von jetzt an bereit sind, sobald wie möglich zur Offensive überzugehen und dass wir unseren Kampf in diesem Geiste führen! Der zweite Punkt: Wir haben den Staat mit seinen gesetzlichen Repressionskräften und den Faschismus mit seinen sogenannten »illegalen« Banden gegen uns.

Weder die einen noch die anderen vermöchten gegen die hervorragende Tatkraft der Proletarier (auch wenn sie wie heute schlecht bewaffnet sind) Irgendetwas auszurichten, würden die Arbeiter nicht durch den feigen Legalismus der Reformisten und den blöden und verräterischen Einheitsgedanken der Maximalisten in ihren Aktionen gebremst. Wir werden nie erfolgreich sein – auch nicht auf der rein defensiven Ebene –, wenn wir uns nicht von diesem doppelten, verhängnisvollen Einfluss befreien, der all unsere praktischen Bemühungen lähmt.

Dies waren die zentralen Punkte, die den hervorragenden Industrie- und Landarbeitern von 1921 ins Bewusstsein gehämmert werden mussten, denn diese Arbeiter, die in der Verteidigung wie im Angriff ebenso unerschütterlich kämpften, waren leider seit allzu vielen Jahren daran gewöhnt, die Reformisten die Leier von der Legalität, dem sozialen Frieden und der Demokratie, die angeblich über den Klassen stehen soll, singen zu hören. Diese zentralen Punkte musste man selbst innerhalb der jungen Partei unermüdlich wiederholen, um den Aufbau eines angemessenen militärischen Apparates in Angriff nehmen zu können. Andernfalls würde man die Katastrophe erleben.

In der Kommunistischen Partei gab es schon die ersten Verfolgten und Märtyrer, wie im übrigen auch – was von allen vergessen wird – bei den Anarchisten, deren Kampfbereitschaft die Partei, wenn sie die anarchistische Ideologie auch immer einer unermüdlichen Kritik unterzogen hat, nie zu würdigen vergass. Und auch die anderen Parteien, die sich aus Arbeitern zusammensetzten, mussten bereits, wenn auch in einem geringeren Masse, auf ihre ersten Opfer zurückblicken. Aber die Partei von Livorno wusste, dass der Kampf seinen Blutzoll forderte. Sie wusste, dass er seine Risiken mit sich brachte und man nicht nur Militanten, sondern auch… die Orientierung verlieren konnte. Sie schloss sich daher nicht nur dem Wehklagen der erklärten und verkappten Reformisten nicht an, sondern warnte die Proletarier und Militanten ausdrücklich davor, in diesen weinerlichen Chor miteinzustimmen. Es galt also, noch eine andere dringende Lektion zu begreifen: Ebensowenig wie wir vom Staat und seinen Gesetzen auch nur irgendeine Verteidigung gegen den Faschismus erwarten dürfen, dürfen wir auch von seiner »Justiz« keinerlei Mitleid erflehen. Unser Ziel ist es nicht, die bürgerliche Rechtsprechung und ihre Gesetze wiederherzustellen, sondern vielmehr, sie zu zerschlagen. So schrieb das Zentralkomitee in einem Artikel, der im »Ordine Nuovo« vom 26. 3. 1921 sowie auch in allen anderen Parteiorganen veröffentlicht wurde, unter dem Titel »Gegen die Reaktion« folgendes:

»Rühren wir uns, ja! Arbeiten wir, um denjenigen Genossen, die sich am meisten geopfert haben, die gebührende Hilfe zukommen zu lassen. Arbeiten wir, um der Massenbewegung ihre Führer wieder zurückzugeben. Aber vermeiden wir den Irrtum, die auf dieses Ziel gerichtete Aktion als los gelöst von der ganzen Breite unserer Aktion, die sich mit der heutigen Lage verbindet, zugleich aber durch tiefgreifende Gründe bestimmt wird, zu betrachten. Es ist eine Illusion zu glauben, dass man die herrschende Klasse und ihre Regierung dazu zwingen könnte, zu einem normalen Regime zurückzukehren und jene Rechte zu wahren, die die individuelle und kollektive Handlungsfreiheit garantieren sollen. Für uns besteht das Problem nicht darin, den Gegner wieder dazu zu bringen, das Gesetz, sein Gesetz wieder einzuhalten. Dies würde darauf hinauslaufen, jene konterrevolutionäre Illusion aufzuwerten, derzufolge die bürgerliche Legalität dem Emanzipationskampf der Massen dienlich ist. Würden wir es auch nur im geringsten akzeptieren, uns in der Aktion mit jenen Bewegungen zu verbünden, deren Theorie und Taktik auf diesem grundlegenden Fehler beruhen, so würden wir die Wirkung unserer Propaganda auf die Massen zugrunde richten und einem fatalen Irrtum verfallen: Wir würden glauben lassen, dass wir, wenn die Bourgeoisie die grenzen ihrer Gesetze einhält, uns unsererseits verpflichten oder verpflichten lassen, dasselbe zu tun. Das würde heissen, dass wir das Fortbestehen des jetzigen konstitutionellen Regimes für wünschenswert halten. Es würde bedeuten, dass wir vergessen, dass die Freiheit, die dieses Regime zuzugestehen scheint, gemäss der marxistischen Kritik nur eine Täuschung und ein konservatives Mittel ist. Die Kommunisten dürfen keine jener stereotypen und lächerlichen Phrasen wie die von der Meinungsfreiheit, dem Recht des einzelnen oder ähnliche Stossgebete jemals von sich geben, die ja gerade die Lieblingsthemen der bürgerlichen Demokratie und des sich sozialistisch wähnenden Opportunismus bilden. Wir müssen ebenfalls bei manchen Elementen, die unseren syndikalistischen und anarchistischen Vettern nahestehen, der Tendenz entgegenwirken, mit diesen Phrasen in kleinbürgerlicher Weise um sich zu werfen und dies dabei noch für extremistisch zu halten. Die Kommunisten stehen auf einem ganz anderen Boden. Sie wissen ganz genau, dass eine Rückkehr zur traditionellen bürgerlichen Legalität unmöglich ist. Sie erklären, dass die Geschichte weltweit die folgende Alternative gestellt hat: Entweder offene Diktatur der Konterrevolution oder revolutionäre Diktatur des Proletariats. Sie setzen sich nicht das Ziel, eine neue Epoche von »normalen« politischen und rechtlichen Verhältnissen zu eröffnen, was, sofern es nicht ein völliger Blödsinn ist, nichts anderes bedeuten würde als eine Phase der friedlichen Wiederaufrichtung der kapitalistischen Herrschaft und der mit ihr verbundenen Privilegien. Ganz im Gegenteil zielen die Kommunisten darauf ab, den Übergang zur Epoche der revolutionären Macht des Proletariats mit allen Kräften zu fördern. Die Kommunisten sagen nicht zur Bourgeoisie: Pass auf, wenn Du Deine Gesetze nicht einhältst, dann werden wir die Revolution machen,… um die Legalität wiederzuerlangen. Sie setzen sich ganz im Gegenteil das Ziel, die bürgerliche Macht durch ihre revolutionäre Aktion zu zerstören. Wer, wie die Sozialdemokraten, vom Boden des friedlichen Kampfes nicht abrücken will, wird niemals unser Verbündeter sein.

Um die Reaktion zu bekämpfen, gibt es also keinen anderen Weg, als sich zum Zwecke ihrer Zerschlagung zu organisieren und den Kampf mit allen Mitteln zu führen. Wir müssen unsere Aktion so gestalten, dass sie nicht mehr leicht von den Sanktionen der bürgerlichen Macht getroffen werden kann und das feindliche System tiefer und sicherer im Herzen trifft. Die ganze Frage der revolutionären Methode ist hierin bereits enthalten. Wir stimmen in dieser Frage weder mit den Sozialdemokraten überein, die glauben, die Versetzung der bürgerlichen Legalität umgehen zu können, noch mit den Libertären, die sich einbilden, dass es nach der Zerschlagung des alten Systems nicht nötig sei, eine neue Macht, eine neue disziplinierte Organisation, eine neue Armee und auch eine neue Polizei und eine neue Repression gegen die bürgerliche Klasse zu errichten.

Die Frage der politischen Opfer und des Kampfes gegen die Reaktion hat also keinen zufälligen und negativen Charakter, sie ist vielmehr verbunden mit der allgemeinen und positiven Frage der Aktion gegen die heutige Ordnung. Wer glaubt, diese Frage Hand in Hand mit den Sozialdemokraten angehen zu können, stellt die Frage auf die Weise der Konterrevolution und arbeitet in dieselbe Richtung. Auch wenn er sich in politischer Hinsicht als direkten Antipoden der Sozialdemokraten bezeichnet, ändert sich nichts an dieser Tatsache.

Die Kommunistische Partei kämpft gegen die Reaktion, weil sie gegen die bürgerliche Macht kämpft, selbst wenn diese ihre legalen Funktionen nicht überschreitet. In diesem Kampf bemüht sich die Kommunistische Partei, das Bewusstsein und die Kräfte des Proletariats in diese Richtung zu lenken. Sie akzeptierte es, sich in diesem Kampf auf den Boden der Illegalität und der Gewalt zu stellen, aber nicht etwa, weil die Bourgeoisie diesen Boden gewählt hat, sondern weil es der einzige ist, den das Proletariat zum eigenen Vorteil wählen kann, um die Auflösung der bürgerlichen Legalität zu beschleunigen, um den Augenblick herbeizuführen, wo sich auf ihren Trümmern die proletarische Legalität errichten wird, der man nicht im voraus durch irgendwelche Phrasendreschereien die Hände binden darf. All jene Gründe also, die zur Bildung der Kommunistischen Partei führten und diese dazu bewogen, ihre Methoden festzulegen, tauchen wieder auf, wenn es um die Frage des Kampfes gegen die Reaktion geht. Die Reaktion besteht in der Herrschaft der Bourgeoisie selbst und nie wird uns unser Feind mit anderen, leichter verwundbaren Waffen entgegentreten!

Aus diesem Grunde nehmen die Kommunisten den Kampf gegen die feindliche Gewalt auf, ohne die Physiognomie ihrer Organisation und ihrer Taktik auch nur um einen Deut zu verändern.«

So wurde der erste der beiden oben erwähnten »Punkte« von der Partei behandelt. Sehen wir nun, wie die Partei, während sie den Aufbau ihres illegalen Apparates in Angriff nahm, den zweiten Punkt behandelte. Sie wandte sich dabei gegen all diejenigen, Reformisten wie Maximalisten, die wenige Monate später den schändlichen Friedenspakt mit dem Staat und den faschistischen Banden abschlossen. Wenn auch der eine oder andere Nostalgiker diese Leute in unserer Partei gerne gesehen hätte, so wusste die Partei selbst doch nur allzu gut, dass eine solche Umarmung dem Proletariat nicht grössere Kraft verliehen hätte, sondern ganz im Gegenteil dem gesunden und kämpferischen Proletariat das Gift des Defätismus eingeimpft hätte.

Die heutigen »Historiker« waren so gütig, die riesige Arbeit, die die gerade erst entstandene Partei unter Führung der Linke im Bereich der Organisierung und der Disziplinierung geleistet hat, schliesslich anzuerkennen. Sie bedauern es jedoch nach wie vor, dass jene Partei die Umarmung des Reformismus, des Maximalismus und schliesslich der Demokratie wie die Pest zurückgewiesen hat. Von ihrer Warte aus ist das ganz natürlich, denn was es ihnen zufolge zu retten galt, war ja nicht die Möglichkeit eines revolutionären Wiederaufschwungs des Proletariats, sondern ganz im Gegenteil die Demokratie. Sie sind die Abkömmlinge genau derjenigen, die die Friedenspakte und die Entwaffnung des Proletariats unterzeichneten. Sie können folglich nicht verstehen, dass die Partei gerade zu dem Zwecke entstanden war, die Demokratie zusammen mit ihrem legitimen Sohn (dem Faschismus) unter die Erde zu bringen, ihnen also die Luft abzuschnüren anstatt ihnen neuen Sauerstoff einzuflössen. Und würden sie es verstehen, dann würden sie entsetzt vor diesem Schreckensbild zurückweichen!

 

 

Der sozialistische Defätismus

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Während die Kommunistische Partei die oben dargelegten Richtlinien entwarf, liess die Sozialistische Partei ihre Maske fallen, um sich als das zu erweisen, was wir immer von ihr behauptet haben: nämlich ein Agent des Defätismus in den Reihen der Arbeiterklasse zu sein, die sich gerade in jenen Monaten gegen die gemeinsamen Angriffe der faschistischen Banden und der gesetzlichen Ordnungskräfte in mutiger Weise bewaffnet zur Wehr setzte.

Die Rechte Turatis, von der sich die maximalistische Mehrheit nicht hatte trennen wollen und von der sie sich jetzt weniger denn je loszureissen gedachte, predigte den »sozialen Frieden«, die Rückkehr zu den »zivilisierten Methoden« einer friedlichen Koexistenz zwischen den politischen Parteien, und sie forderte das Proletariat auf, sogar auf die defensive Gewaltanwendung zu verzichten. Sie blieb somit ihrer alten Tradition treu, denn der Reformismus hatte in der Vergangenheit nie etwas anderes gesagt, und er konnte auch jetzt nichts anderes von sich geben. Nicht, dass er die Gewalt etwa in der Art eines Tolstoi verurteilend, völlig aus seiner Theorie ausgeschlossen hätte. Für ihn stellte sich diese Frage, wie die Partei in einem Text erklärte, folgendermassen:

»Der Sozialdemokrat, der Sozialpazifist ist nicht gegen die Gewalt im allgemeinen. Er erkennt der Gewalt eine soziale und geschichtliche Funktion zu.« Aber die Gewalt ist für ihn nur dann legitim, »wenn es die Staatsmacht ist, die sich ihrer bedient, die diese Gewalt sanktioniert, befiehlt und organisiert. (…) Wenn aber das Proletariat die Gewalt anwendet, um sich gegen den Faschismus zu verteidigen, dann handelt es sich um eine illegitime Gewaltanwendung, da sie ausserhalb von Staat und Gesetz angesiedelt ist.« Für die Sozialdemokratie hat »die Bildung des demokratischen und parlamentarischen Staates die Epoche der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen einzelnen, Gruppen und Klassen der Gesellschaft beendet, und der Staat ist gerade dazu da, jene gewaltsamen Initiativen als antisoziale Aktionen zu unterdrücken.« Nicht die Proletarier müssen sich verteidigen, sondern… Giolitti verteidigt sie! Es ist also nur allzu logisch, dass die sozialistische Rechte von den Proletariern verlangt, vom Kampf abzulassen, und den Staat dazu auffordert, gegen die Faschisten, die er finanziert, unterstützt und gewähren lässt, die Gewalt anzuwenden. Es ist nur konsequent, dass sie darauf beharrt, mit dem Feind Friedenspakte zu unterzeichnen und bereit ist, würde sie an die Regierung kommen (was beinahe der Fall war), genauso wie Noske und Scheidemann in Deutschland zu handeln, nämlich die organisierte und »legitime« staatliche Gewalt gegen die einzigen zu entfesseln, die die Klassengewalt zur Zerschlagung des bürgerlichen Herrschaftsapparats gefordert haben, die Kommunisten!

Und die Maximalisten, die die Führung der Partei in der Hand hatten? Hatten sie nicht in Bologna erklärt, dass »das Proletariat zur Gewalt greifen muss«, nicht nur um sein Endziel, die »Eroberung der Macht« zu erreichen und »die revolutionären Errungenschaften zu festigen«, sondern um jenes unmittelbare Ziel der »Verteidigung gegen die bürgerliche Gewalt« zu erlangen? Hatten sie nicht erklärt, dass sie der III. Internationale auf der Grundlage der Thesen des I. Kongresses beitreten, die doch der sozialdemokratischen, reformistischen und parlamentarischen Lösung die revolutionäre Lösung entgegensetzten, die auf der Alternative »Entweder Diktatur des Proletariats oder Diktatur der Bourgeoisie« beruhte? Hatten sie nicht sogar noch nach Livorno in Moskau darauf gedrungen, die vollzogene Spaltung zu berichtigen und ihnen die Türen zur Komintern zu öffnen? Schon. Aber die historische Funktion des Zentrismus besteht gerade darin, sich »dem Programm der Linken anzunähern, es sich lautstark und demagogisch zu eigen zu machen, um die Massenbewegung im Zaum zu halten und sie eines Tages (und dieser Tag war jetzt gekommen) den rechten Tendenzen, das heisst dem erklärten Reformismus, auszuliefern. Letzterer hat neben anderen Tugenden wie der der Folgerichtigkeit auch die Fähigkeit, geschickt abwarten zu können, bis seine Stunde gekommen ist und solange seine zentristischen Verbündeten die Arbeit verrichten zu lassen, auch wenn die Zentristen ihn gegenüber den unteren Rängen als unerbittlichen Feind darstellen.«

 

 

Die Scheinheiligkeit des Maximalismus

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Die faschistische Offensive stellte die »Aufrichtigkeit«, mit der die Maximalisten den »Barrikadenkampf« befürworteten, auf die Probe. Sie zeigte, dass die Anklage der Kommunisten, der Maximalismus diene der sozialistischen Rechten als Speerspitze und als scheinheiliger linker Deckmantel, völlig zutreffend war. In der Tat, kaum hatten die »illegalen« faschistischen Gewalttaten eingesetzt, als auch schon die Sozialistische Partei – und zwar nicht nur die Rechte, sondern die ganze Partei, angefangen bei ihrer Führung – in den Spalten ihres Organs »L’Avanti« die Rückkehr zur Ordnung, die »Normalisierung« des politischen und gesellschaftlichen Lebens und den Verzicht des Proletariats auf den gewaltsamen Kampf zu predigen begann. Im August unterzeichnete sie dann – in völliger Übereinstimmung mit jener ganzen… malthusianischen Propaganda – den Friedenspakt mit den Faschisten! In anderen Situationen des Klassenkampfes, als der soziale Konflikt sich zu einem offenen Kampf hin entwickelte, hatte der Maximalismus scheinbar annehmbare Ansichten vertreten: »Wir brauchen eine angemessene Vorbereitung! Wir dürfen uns nicht in die Falle locken lassen, allgemeine Aktionen durchzuführen, ohne vorher darauf vorbereitet zu sein! Die individuelle Aktion muss der allgemeinen und kollektiven Aktion Platz machen usw.« Hinter diesen nach jesuitenart vorgetragenen Argumenten verbarg sich jedoch nur der feige Entschluss, bei den ersten Anzeichen des Sturms die Segel zu streichen. Jetzt wurden nicht einmal mehr diese Argumente vorgebracht. Der Maximalismus erklärte jetzt ohne Umschweife, dass man nicht zur Gewalt greifen dürfe und er dies auch nicht tun würde, nicht einmal wenn es um die Verteidigung ginge. Und er erklärte das zu einem Zeitpunkt, wo junge Proletarier ihr Leben opferten, um die Arbeitskammern, die Redaktionen ihrer Zeitungen und die Sitze ihrer Parteien zu verteidigen. Nicht zufällig veränderte die PSI bei den Wahlen im kommenden Mai ihr Wappen dahingehend, dass sie Hammer und Sichel »das Buch« hinzufügte. Draussen wurde geschossen, und die »Partei der Arbeiter« forderte ihre Militanten auf, sich an die Tische der Volksbibliotheken zu setzen! Auf den Strassen verteidigte man sich mit zusammengebissenen Zähnen und griff sogar so oft wie möglich an. Und die Partei, die die Interessen der Arbeiter zu vertreten behauptete, brachte diese Äusserungen eines spontanen und unnachgiebigen Kampfgeistes in Misskredit. Sie sagte sich von ihnen los, ja sie verurteilte sie!

Die Kommunistische Partei deckte den (für uns im übrigen nur scheinbaren) Widerspruch zwischen den offiziellen Erklärungen des Maximalismus und seinen unverschämten Aufforderungen an das Proletariat, jetzt auch noch die andere Wange hinzuhalten, restlos auf; sie prangerte etwas an, was sich in den Tatsachen deutlich als wahrhaftiger Defätismus erwies:

»Wir befinden uns also nicht mehr in der Periode der weltweiten Revolution, die auf den endgültigen Machtkampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie zusteuert? Es ist also nicht mehr wahr, dass die Bourgeoisie nur mit Hilfe des bewaffneten Kampfes von der Macht vertrieben werden kann, da sie selbst ihren Machtanspruch immer mit der organisierten Gewalt verteidigen wird? Und das alles soll gerade jetzt nicht mehr stimmen, wo der Faschismus uns doch den schlagendsten Gegenbeweis liefert? Wir stehen jetzt also nicht mehr vor dem unausweichlichen Dilemma ›entweder Diktatur des Proletariats oder Diktatur der Bourgeoisie‹, gerade jetzt, wo die Bourgeoisie ihrem zynischen Willen zur Herrschaft in kühnster Weise Ausdruck verleiht, wo sie alle Zugeständnisse und alle politischen und wirtschaftlichen Vereinbarungen, die zwischen den bestehenden Mächten und der Arbeiterklasse geschlossen wurden, zunichte macht?

Die Maximalisten werfen – das müssen wir uns merken – nicht die Frage nach der taktischen Zweckmässigkeit auf. Sie sagen nicht, dass das Proletariat sich in diesem Augenblick auf eine sorgfältige Vorbereitung beschränken und nicht dazu verleiten lassen soll, seine Kräfte in sofortigen Aktionen zu verschleissen. Auch solche Argumente wären in der heutigen Lage bereits ein Zeichen von Defätismus, da gerade die Ereignisse der letzten Monate bewiesen haben: Je mehr das Proletariat die Zusammenstösse zu vermeiden sucht, um so mehr fühlt sich die bürgerliche Reaktion ermutigt. Doch die maximalistischen Renegaten sagen und tun noch viel üblere Dinge. Mit einer erstaunlichen Unverschämtheit verurteilen sie den eigentlichen Kern der Methoden, die sie gestern noch zu vertreten schienen, denn sie geben jetzt den Massen die endgültige Direktive, in ihren zukünftigen Aktionen auf die Gewalt zu verzichten, und sie versuchen, diese Massen wieder auf den Boden des friedlichen Kampfes zurückzuführen. Auf diesem Boden sollen die Massen mit Waffen und Kräften kämpfen, die, da sie faktisch rein geistiger und moralischer Natur sind, nunmehr nur noch den Anhängern des alten Idealismus Angst machen – und gerade unter solchen Leuten pflegt der bürgerliche Staat sein Regierungspersonal und seine Henker nicht zu rekrutieren!

Man könnte einwenden, dass der Augenblick der revolutionären Gewalt ›noch kommen werde‹, doch würde der Verteidiger der Einheit von Kommunisten und Sozialisten, indem er jenes Argument vom ›entscheidenden Augenblick‹ theoretisieren, nur eines bestätigen: Unsere liederlichen Pseudorevolutionäre sind noch viel schlimmer als die wahren Reformisten, die wenigstens ehrlich genug sind, die Methoden der gewaltsamen Aktion offen zu verurteilen und den Massen andere Aktionsmittel vorzuschlagen. Dem entscheidenden Ausbruch der revolutionären Gewalt geht notwendigerweise eine Periode voraus, in der die Zusammenstösse nur episodischen Charakter annehmen. In dieser Periode ist es die Aufgabe der kommunistischen Partei, die proletarischen Kräfte vorzubereiten und zu organisieren. Dieser Aufgabe kann man aber unmöglich gerecht werden, wenn man den Verzicht auf die Gewalt predigt, die man nicht nur als grundlegendes und unerlässliches Aktionsmittel erkennen, sondern auf die man sich auch technisch vorbereiten muss. Genau diesen Verzicht aber predigen uns heute die Führer der sozialistischen Partei, die in dem Masse zurückweichen, in dem sich die revolutionäre Entwicklung, die in ihren ehemaligen Programmen dargelegt worden war, in die Wirklichkeit umsetzt! Es soll also nicht mehr richtig sein, dass sich der imperialistische Krieg in dein revolutionären Klassenkrieg verwandeln muss! Man hatte das wohl nur zum Scherze gesagt, denn der Klassenkrieg soll nun mit friedlichen Waffen ausgetragen werden, und nicht mit jenen, die man den Arbeitern in die Hände gelegt hatte, damit sie sich vier Jahre lang gegenseitig abschlachten!

Die Bourgeoisie wendet für den Kampf im Innern genau dieselben Waffen an, die ihr im Kriege gegen das Ausland gedient haben, und die Maximalisten, anstatt hierin die Bestätigung der Theorie zu sehen, die sie früher verteidigt haben, rufen zur Entwaffnung auf! Angesichts dieser Lage besteht unsere vordringlichste Aufgabe darin, jene Saboteure der Revolution aufs schärfste anzugreifen. Die dringende revolutionäre Vorbereitung, die unsere Partei zu leisten hat, geht mit der Liquidierung der letzten Spuren des Einflusses der Maximalisten Hand in Hand. Der schnelle Zerfall der Sozialdemokratischen Partei wird das beste Zeichen für den Aufschwung der revolutionären Energien des italienischen Proletariats sein« (»Un partito in decomposizione«, in »Il Comunista« vom 10.3. 1921).

Die Rechte ist konterrevolutionär, und sie sagt es ohne Zögern. Auch das Zentrum (es handelt sich hierbei nicht um eine spezifisch italienische, sondern eine internationale Erscheinung, die nichtsubjektiver, sondern objektiver Natur ist, die also nicht an einzelne Individuen, Gruppen oder Länder gebunden ist und unabhängig von den wirklichen oder mutmasslichen Absichten der einzelnen auftritt) ist konterrevolutionär. Was bei ihm, im Vergleich zur Rechten, noch hinzukommt, ist ein gerüttelt Mass an Scheinheiligkeit, mit dem es seine Haltung umgibt. So stellte Serrati in seiner im »L’Avanti« veröffentlichten Antwort auf den oben zitierten Artikel die »planmässig vorbereitete Aktion«, die der Kommunismus befürwortet und deren Vertreter er, Serrati, immer gewesen sei, den unvorbereiteten Aktionen entgegen, die nur sporadisch als Reaktion »auf jeden Revolverschuss« entstünden und die zu vertreten er uns beschuldigte. Um den eiligen Rückzug seiner Partei vor den feindlichen Angriffen zu verdecken, lehnte er letztere Aktionen als »voluntaristisch« ab. In ihrem Artikel »Irreführende Gelassenheit« (»Serenità mistificatrice«) vom 16. 3. 1921 nahm die Partei sofort zu diesem hinterlistigen Argument Stellung:

»Serrati beschuldigt die anderen des Voluntarismus und sieht – vor lauter Polemik – nicht, dass er selbst der grösste Voluntarist ist. Wenn hier jemand eine weder deterministische noch marxistische Behauptung gemacht hat, so gerade Serrati, als er den Mangel an revolutionärer Vorbereitung komischerweise den besonderen fehlerhaften Eigenschaften des italienischen Volkes zuschrieb. Welch humoristisches Verständnis von der revolutionären Vorbereitung!

Laut Serrati soll die Klassenpartei die Anwendung der proletarischen Gewalt bis auf jenen Tag verschieben, an dem sie sich in der Lage fühlt, das Signal für eine allgemeine und koordinierte Aktion zu geben. Bis zu jenem Tag aber soll sie sich unter dem Vorwand, dass es sich um ›individuelle‹ Gewalt handelt, jedem Zusammenstoss zwischen den proletarischen und bürgerlichen Kräften widersetzen und ihn verurteilen. Ja, sie sollte solche Konflikte überhaupt zu verhindern suchen!

Unsere Auffassung ist grundverschieden. Die revolutionäre Klassenpartei geht bei ihrer Arbeit von der Tatsache aus, dass die gegenwärtige historische Periode bereits die Bedingungen für den endgültigen Zusammenstoss zwischen den Klassen geschaffen und dieser auch schon begonnen hat. Die Partei setzt sich das Ziel, auf diesen von den geschichtlichen Bedingungen determinierten Kleinkrieg Einfluss zu gewinnen, um die proletarische Rebellion zu organisieren und ihr somit mehr Wirkungskraft zu verleihen. Solange es ihr nicht möglich scheint, durch eine allgemeinen Koordinierung des Angriffs Erfolgsaussichten zu haben, macht sie keinen Gebrauch von ihrer Möglichkeit zu Initiativen und Aktionen im Hinblick auf isolierte Angriffe. Bei den lokalen und gelegentlichen Konflikten ist sie darauf bedacht, sich unter ungünstigen Bedingungen nicht zum Einsatz ihrer ganzen Kraft verleiten zu lassen. Gleichzeitig muss sie sich aber auch bemühen, in ihrer schon geleisteten Vorbereitungsarbeit nicht an Boden zu verlieren, wobei es den Faktor der kollektiven Psychologie zu berücksichtigen gilt. Sie versucht bei den Massen die Einsicht zu erzeugen, dass ihr zeitweiliger Verzicht auf revolutionäre Aktionsinitiativen ein Element der Stärke und nicht der Schwäche ist. Sie darf aber die revolutionären Mittel nicht in Misskredit bringen und muss von daher gleichzeitig in den Massen die Überzeugung verstärken, dass man auf diese Mittel nie verzichten wird. Hierin liegt der Unterschied zwischen unserer Auffassung und derjenigen der Sozialisten, auch wenn letztere in Form der jesuitischen ›Theorisierung‹ Serratis auftritt!

In der derzeitigen Lage sagen die Sozialisten den Massen nicht wie Serrati: ›Wir müssen uns besser vorbereiten, im Augenblick aber die Zusammenstösse vermeiden!‹ Sie haben alle ihre vorherigen Erklärungen verleugnet und ganz klar gesagt, »seht ihr, wie schrecklich die Anwendung von Gewalt und der Bürgerkrieg sind? Der Vormarsch des Proletariats muss auf anderen Wegen erfolgen!« Sicherlich haben nicht die Sozialisten die faschistische Offensive entfesselt. Aber ihr Verbrechen besteht darin, die Massen zu entwaffnen. Sie bilden sich ein, so den faschistischen Angriff stoppen zu können, weil sie blödsinnigerweise glauben, ihn hervorgerufen zu haben. Aber auch die hinterlistige Formel Serratis ist nicht weniger defätistisch. Sie läuft darauf hinaus, einen unbegrenzten Rückzug zu verordnen, der unweigerlich die revolutionären Kräfte jeder moralischen und materiellen Kraft berauben würde. Sie läuft darauf hinaus, gerade jene revolutionäre Vorbereitung, die Serrati gewährleisten zu wollen vorgab, für immer zu gefährden und unmöglich zu machen. Vorbereitung bedeutet in der Tat sich darin zu üben, im Einklang mit einer richtigen und immer genaueren Einschätzung der Ereignisse zu handeln. Sie kann niemals in einer passiven Verneinung der Wirklichkeit oder einem fatalistischen Abwarten bestehen, was entweder unmöglich ist oder ausschliesslich zugunsten des bürgerlichen Feindes gehen kann. Und genau das wäre umgekehrter Voluntarismus, keineswegs aber Antivoluntarismus. Das würde bedeuten, dass man den positiven Einfluss, über den man verfügt, in den Dienst des Gegners stellt!

Gerade auf dem Boden der Tatsachen hat sich unsere Haltung klar von derjenigen unterschieden, die Serrati verteidigt und die seine Anhänger in die Praxis umgesetzt haben. Auch wenn wir uns von den Sozialisten nur dadurch unterscheiden würden, dass wir die niederträchtige Sprache, die sie führen, nicht gebrauchen, so würde das schon zur Genüge beweisen, dass unsere Methode der ihren überlegen ist. Aber auch in den praktischen Tatsachen hat sich ein Unterschied gezeigt. Wir haben klar gesagt, dass es unentbehrlich sei, der reaktionären Gewalt die Gewalt entgegenzusetzen, auch wenn wir nicht die Initiative zu einer allgemeinen revolutionären Aktion ergreifen können, da das Proletariat in geistiger und materieller Hinsicht nur mangelhaft vorbereitet ist und wir Gefahr laufen würden, uns auf ein ungewisses Abenteuer einzulassen oder uns dem sicheren Verrat der Sozialisten auszusetzen. Auch wenn wir uns darauf beschränkt hätten, unsere Solidarität mit den spontanen proletarischen Widerstandsaktionen zu erklären, so hätte dies bereits zur Genüge den praktischen Unterschied zwischen uns und den Sozialisten bewiesen, die diese proletarischen Reaktionen in feiger Weise verworfen haben. Wir haben aber darüber hinaus den Kommunisten die Anweisung gegeben, sich auf die in bestimmten Gebieten vorhersehbaren faschistischen Angriffe vorzubereiten, um ihnen entgegentreten zu können. Wir halten nach wie vor an dieser Aktionslinie fest. Ihre Richtigkeit wird sich in den Tatsachen beweisen, an der Fähigkeit, die Kampfstimmung der Massen zu heben und sie durch die Partei einzugliedern. Diese Eingliederung setzt aber voraus, dass die Massen der Partei vertrauen, und dieses Vertrauen ist also der erste Aspekt der Vorbereitung auf allgemeine Aktionen.

Es hat sich also mehr denn je gezeigt, dass die Sozialisten der alten Partei als echte Sozialdemokraten das Spiel der Bourgeoisie gespielt haben, indem sie den Massen wiederholt gesagt haben, sie sollten die gewaltsamen Mittel von sich weisen. Es hat sich gezeigt, wie grotesk es ist, eine solche Haltung mit dem Vorwand rechtfertigen zu wollen, dass es nur darum gehe, die revolutionäre Aktion auf den günstigsten Augenblick verschieben zu wollen. Derartige Erklärungen werden grundsätzlich von allen Konterrevolutionären abgegeben. Sie sind ein charakteristisches Kennzeichen des Zentrismus, der dem Reformismus die Stange hält, während dieser seinerseits der Bourgeoisie die Stange hält. Und dies gilt für alle Länder, da gerade die zentristische Politik besonders gut geeignet ist, die Massen zu entwaffnen, um sie eines Tages ohnmächtig und völlig desorientiert den Orgien der Konterrevolution auszuliefern.«

Wenn wir hier lange Zitate aus der damaligen Polemik wiedergegeben werden, so nicht etwa aus irgendeinem »Bildungsluxus« heraus, sondern vielmehr weil aus dieser Polemik klar hervorgeht, dass sich das maximalistische »Zentrum« im Laufe des Kampfes ganz bewusst auf die andere Seite der Barrikade gestellt hat. Es hat damit so gehandelt, wie es schon immer für den Zentrismus typisch war und auch in Zukunft bleiben wird. Die Bolschewiki hatten vollkommen Recht, als sie den internationalen Zentrismus zum Feind Nummer 1 der proletarischen Revolution erklärten, denn er ist der heimtückischste und hartnäckigste Widersacher des Proletariats. Niemals also hätte man – wie dies die Bolschewiki selbst später leider tun sollten – die Möglichkeit eines auch nur teilweisen Zusammenkommens mit den Zentristen erwägen oder, was noch schlimmer ist, die Aufnahme der Maximalisten in die italienische Sektion der Kommunistischen Internationale beschliessen dürfen. Es bedurfte nicht einmal grosser theoretischer Betrachtungen, um dies zu erkennen. Die Tatsachen selbst lieferten den schreiendsten Beweis dafür, dass der entschiedene Bruch mit dem Reformismus und dem Maximalismus absolut notwendig war.

 

 

Von den Wahlen bis zum Regierungswechsel

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Parallel zur faschistischen Offensive, die sich im Laufe des gesamten April weiterentwickelt, entfesseln die Unternehmer ihre Offensive gegen die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse, und das ist kein Zufall.

Während Giolitti im Februar den gesetzlich festgelegten Brotpreis abschafft, greifen die Unternehmer auf einer doppelten Ebene an: sie entlassen die »überschüssigen« Arbeitskräfte (was natürlich gleichzeitig eine erhöhte Ausbeutung der in den Fabriken verbliebenen Arbeiter bedeutet) und senken die Löhne. Im März werden die scheinbar festen Errungenschaften bezüglich der Arbeitsplätze abgeschafft, vor allem in Turin: bei Michelin werden nach einmonatigen Verhandlungen die ersten Entlassungen gebilligt, die auch die früher als »unverletzlich« geltenden Mitglieder der Internen Kommissionen sowie Abteilungsdelegierte der Arbeiter treffen; bei Fiat wird die Arbeit nach einem Monat des Kampfes wieder aufgenommen, und zwar unter dem Zeichen »der Disziplin und Autorität innerhalb des Betriebes«, die laut den Forderungen der Unternehmensführung »ausschliesslich durch ihre eigenen Organe und ohne willkürliche Einmischung von aussen ausgeübt werden soll«. Ein Jahr lang wird sich die CGL in der Hoffnung wiegen, dass Giolitti und später Bonomi gemäss ihren Versprechungen vom September 1920 die berühmte »Kontrolle über die Industrie« einführen werden.

In Turin selbst versuchen die Faschisten am 25. April die »Casa del Popolo« (Haus des Volkes), die das Zentrum der Arbeiterkammer und der FIOM (8) sowie den Sitz verschiedener Arbeitervereine und -zirkel bildete, zu stürmen.

Der hartnäckige Widerstand der Arbeiter kann von den Faschisten nur dadurch »gebrochen« werden, dass sie das Feld den regulären Ordnungskräften überlassen. Diese entwaffnen dann die Arbeiter, verhaften die »Rädelsführer« und erweisen ihrerseits jetzt den Faschisten die Gefälligkeit, ihnen den Weg für die Besetzung und Inbrandsteckung des Gebäudes freizumachen. Die Faschisten jedoch werden infolge dieser bitteren Erfahrung mehr als ein Jahr abwarten, bevor sie ihren Versuch wiederholen. Sie sind jetzt vorsichtiger und versuchen, sich zunächst die Rückendeckung zu sichern!

Der Defätismus der Sozialisten kam aber nicht nur in ihrer Haltung gegenüber den proletarischen Kämpfen gegen die Schwarzhemden zum Ausdruck, sondern zeigte sich auch ganz klar in ihrer Stellung gegenüber den ökonomischen Kämpfen. Die Kommunistische Partei hingegen versuchte gerade, die Massen diesem demoralisierenden Einfluss zu entreissen, um sie in ihren defensiven und offensiven Aktionen mit einer klaren Losung unter einer gemeinsamen Fahne und einer zentralisierten Führung zu vereinen. Und diese Bemühungen der Kommunistischen Partei waren untrennbar verbunden mit den Anstrengungen, die sie unternahm, um alle gewerkschaftlichen Kämpfe auf der Grundlage einer einheitlichen Strategie, die die kommunistischen Betriebs- und Gewerkschaftsgruppen in die CGL hineinzutragen versuchten, zusammenzufassen. Es handelte sich hierbei um zwei untrennbare Aspekte eines einzigen Kampfes. Und die Linke, die sich in einem mehr als zehnjährigen Kampf gegen alle Verkörperungen des Reformismus gestählt hatte, führte diesen Kampf an »beiden Fronten« mit einer Tatkraft, deren nur sie fähig war und die nur sie über die Partei auf das Proletariat in Stadt und Land übertragen konnte (9).

Im Mai 1921 finden die Wahlen statt. In der Tat waren sie das geeignetste Mittel, um die revolutionären Energien des Proletariats, die zu zerschlagen sich als schwierig erwiesen hatte, zu kanalisieren und auf das Luftschloss eines Wahlsiegs hin zu orientieren. Darüber hinaus ermöglichten sie es, die PSI in der Hoffnung auf eine Rückkehr zu normalen Zuständen zu wiegen und den Faschisten, die bislang nur ein unförmiger Haufen von Schlägertrupps und kaum eine ordentliche Partei gewesen waren, nun auch den Weg zu parlamentarischen und demokratischen Ehren zu eröffnen. In der Tat war es Giolitti, der es den Faschisten mit Hilfe des »Nationalen Blocks« ermöglichte, ganz nach giolittischer Manier, auf einer doppelten Tastatur zu spielen: der der »konstitutionellen Legalität« einerseits und der »tatsächlichen Illegalität« andererseits. Die heutigen Reformisten, d. h. die offizielle italienische KP, kommentieren diese Tatsache folgendermassen:

»Die Aufnahme der faschistischen Kandidaten in die Listen des nationalen Blocks ist zweifelsohne die schlimmste und unüberlegteste politische Operation des alten piemontesischen Staatsmannes gewesen. Sie stellt in der Tat eine Legalisierung der gewaltsamen Aktionen der Faschisten dar, die das Land mit Blut besudelt haben, und sie ist die erste offizielle Abdankung des Staates gegenüber einer rechten Unterwanderung« (»I Comunisti nella storia d’Italia«, Heft Nr. 4, herausgegeben von »Calendario del Popolo« und veröffentlicht unter der Schirmherrschaft der offiziellen KP Italiens).

Wie man sieht, taugen die heutigen Reformisten genauso viel wie die gestrigen. Sie sind genauso unfähig zu begreifen, dass die »subversive« Gewalt von rechts nur die Kehrseite der »konservativen« Gewalt des Staates war, dass sie ohne letztere nicht möglich gewesen wäre und beide eine unauflösliche dialektische Einheit bilden!

Wir werden hier nicht im einzelnen auf jene Wahlen vom Mai, die die zweiten allgemeinen Wahlen nach dem Kriege bildeten, eingehen. Trotz des Widerstands vieler ihrer Mitglieder und sogar ganzer Sektionen, die nicht einmal immer in der wahlboykottistischen Fraktion ihren Ursprung hatten, beteiligte sich die Kommunistische Partei Italiens in vorbildlicher Disziplin gegenüber der Internationale an den Wahlen (10). Dabei setzte sie Kräfte, die man im übrigen sehr viel nützlicher für die Aufgabe der eigenen politischen, gewerkschaftlichen und militärischen Organisierung hätte verwenden können, im Wahlkampf ein. Es ist jedoch interessant festzuhalten, dass der Faschismus die Wahlperiode nutzte, um seine Wunden zu heilen, während er sich zugleich durch einige Übungsrunden auf die Wiederaufnahme der bewaffneten Offensive im Juli vorbereitete. So stürmten die Faschisten die Redaktion des »Il Soviet« am 5. Mai; sie demonstrierten in der Emilia gegen die Verhaftung Italo Balbos, der sofort freigelassen wurde; am 13. Juni kam es zum Angriff auf Francesco Misiano und am 28. Juni wurde die Arbeitskammer von Grosseto in Brand gesetzt. Was die Sozialisten betrifft, so hatten sie ihrerseits in dem neuen »demokratischen Klima« wieder einen Grund mehr gefunden, um gegenüber den Arbeiterkämpfen den schlimmsten Defätismus zu praktizieren. Als Giolitti am 27. Juni sein Amt niederlegt, verabschiedet die Führung der sozialistischen Parlamentsfraktion folgende Tagesordnung, die von der maximalistischen Parteiführung angenommen wird: »Die Führung der sozialistischen Parlamentsfraktion hat unter Beibehaltung der taktischen und programmatischen Richtlinien, die von der Fraktion bei ihrer Gründung festgelegt worden sind, beschlossen, der Fraktion selbst vorzuschlagen, nicht das Interesse zu verlieren an der Entwicklung und Lösung der Krise. Während die Fraktion fast einstimmig darin übereinstimmt, dass es aus theoretischen Gründen, so die einen, oder aus praktischen Gründen, so die anderen, unangebracht ist, eine Regierungsbeteiligung der Sozialisten in Aussicht zu stellen, hält die parlamentarische Fraktion fest, dass die sozialistischen Abgeordneten das Parlament nicht ausnützen sollen, um den Versuchen anderer Parteien, ehrlich und dauerhaft eine Politik gegen eine Fortsetzung der Gewaltanwendung auf die proletarische Bewegung durchzuführen, Hindernisse a priori in den Weg zu legen. Die Vertreter der Parteiführung billigen diesen Entschluss.«

So sieht also das maximalistische Rezept aus: Wir, die »unnachgiebigen Parlamentarier«, sind zu jedem Nachgeben bereit, wenn immer sich die Möglichkeit einer Regierung bietet, die »ehrlich und dauerhaft« das zu tun gedenkt, was wir nicht tun, nämlich die proletarische Bewegung gegen die »illegale« Gewalt zu verteidigen. Und wenn eine solche Regierung nicht entsteht, so werden wir zu unserer »parlamentarischen Unnachgiebigkeit« zurückkehren. Aber weit davon entfernt, die Proletarier dazu aufzurufen, sich selbst zu verteidigen und sie in ihrem Kampf zu führen, werden wir unsererseits die Initiative ergreifen, um… ehrliche und dauerhafte Abkommen mit den bürgerlichen Parteien zu schliessen, damit die Gewalt aufhört!

Als dann der Berg der Regierungskrise die Maus Bonomi gebiert, wird die maximalistische Führung ihre vorübergehend verlorene Jungfräulichkeit wieder zurückgewinnen. Sie erklärt, dass sie mit den von der neuen Regierung gegebenen »Versprechen« und »Garantien«, um die »Herrschaft des Gesetzes« wiederherzustellen, nicht zufrieden sei (das Gesetz ist das A und 0 des sozialistischen Breviers) und dass sie demzufolge keinerlei Anlass habe, von der formalen parlamentarischen Opposition, die von den Kongressen beschlossen wurde, abzurücken. Kaum ein Monat vergeht, und schon wieder wird diese Jungfräuleinkeit frisch und munter dank den guten Diensten des Präsidenten der Kammer und späteren Präsidenten der Republik, Enrico De Nicola, auf einem neuen Altar geopfert: dem Altar des Friedenspaktes. Und dies geschieht wie immer im Rahmen der »unnachgiebigen parlamentarischen Opposition«!

Bevor wir aber auf die berühmte Friedenspaktes eingehen, müssen wir zuvor einen Schritt zurückgehen, um uns mit der Aktion der Kommunistischen Partei Italiens in der vorhergehenden entscheidenden Periode zu beschäftigen.

 

 

Der Kampf der Kommunistischen Partei für die militärische Organisierung der Massen

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In ihrem Aufruf vom 3. März hatte die Kommunistische Partei dem Proletariat gezeigt, dass man nur der bürgerlichen Gewalt begegnen kann, wenn man den Weg der proletarischen Gewalt betritt, und sie war die einzige, die dies tat. Indem sie den fatalen Defätismus der Reformisten und Maximalisten anprangerte, musste sie natürlich gleichzeitig auch zeigen, dass das Schicksal der proletarischen Gegenoffensive davon abhing, inwieweit sie als Partei in der Lage sein würde, den proletarischen Kampf zu unterstützen, mit neuer Kraft zu erfüllen und vor allem zu führen. Die Partei hatte die Wahlkampagne und den 1. Mai genutzt, um ihre Richtlinien und ihre Verpflichtung zu betonen und jene politischen Parteien, deren Basis sich zumeist aus Arbeitern zusammensetzten, aber eine pazifistische und demokratische Ideologie und eine parlamentarische und legalistische Taktik propagierten, aufs schärfste zu entlarven. Denn gerade jene Parteien trugen dazu bei, die Arbeiterklasse, die trotz ihrer wiederholten Niederlagen in den vergangenen zwei Jahren noch immer kampfbereit war, von ihrem Kampf gegen alle legalen oder »illegalen« Schutzorgane der bürgerlichen Herrschaft abzulenken.

Und dennoch genügte es nicht, den Boden von der pazifistischen, weinerlichen und kapitulantenhaften Ideologie des klassischen Reformismus und seines neuen Deckmantels, des Maximalismus, zu befreien. Es genügte nicht, den proletarischen Massen und kommunistischen Militanten das Gefühl zu vermitteln, dass es notwendig sei, sich auf demselben Boden wie der Feind zu verteidigen und sogar, wenn die Situation es erlauben würde, im Laufe des »rein« defensiven Kampfes selbst zur Gegenoffensive überzugehen. Es genügte nicht, den jungen Militanten der Arbeiterklasse die Überzeugung einzuflössen, dass allein die kommunistische Partei unter Ablehnung jedes zweideutigen politischen Bündnisses parlamentarischer Natur und der verlogenen »Einheit« mit dem Reformismus in der Lage war, den spontanen Angriffs- und Verteidigungsaktionen die nötige Organisation zu geben. All dies stellte nur eine (im übrigen unerlässliche) Voraussetzung für die ernsthafte Vorbereitung eines allgemeinen und disziplinierten Kampfes des Proletariats gegen alle bürgerlich-konterrevolutionären Kräfte dar.

Um es noch einmal zu wiederholen: Einerseits musste man sich bei allen Zusammenstössen zwischen Proletariern und Ordnungskräften entschieden auf die Seite der Proletarier stellen. Man durfte niemals ihre »Ausschreitungen« verurteilen, man durfte niemals versuchen, in den verzweifelten Kampf um die Arbeiterhochburgen moralische Regeln oder einen Knigge einzuführen, man durfte niemals Angriffsaktionen der Arbeiter unter dem Vorwand entmutigen, sie müssten sich auf ihre Verteidigung beschränken. Andererseits musste man den eigenen und unabhängigen Militärapparat aufbauen, um der proletarischen Abwehr und Vergeltung eine Seele, einen Kopf, ein Rückgrat, eine politische und materielle Führung zu geben. Und dies alles hatte zur Voraussetzung, dass man den Weg frei machte von allen Überbleibseln der Vergangenheit, von jeder Nostalgie für die vergangenen Zeiten des »friedlichen Lebens« im Schatten der parlamentarischen Demokratie oder der »Einheit« mit den Verrätern.

Selbst die Schaffung eines illegalen Organisationsnetzes der Partei, wie es die 21 Bedingungen der Aufnahme in die Kommunistische Internationale fordern, war nicht ausreichend, wie auch die intensive antimilitaristische Propaganda der kommunistischen Jugend in der Armee und die Verstärkung der kommunistischen Gruppen in den proletarischen Verbänden ehemaliger Soldaten nicht genügen konnten. Genausowenig genügte es, wie man dies immer getan hatte, die ökonomische Aktion mit der dringenden Notwendigkeit der Verteidigung der Arbeiterorganisationen und ihrer Sitze zu verbinden, die nunmehr zur bevorzugten Zielscheibe der Faschisten und dem natürlichen Zentrum des proletarischen Widerstands gegen die Angriffe des Staates und der Faschisten geworden waren. Was jetzt dringend not tat, war die planmässige Bildung eines »Militärapparats«, der einer strengen Parteidisziplin gehorchen und sich in allen seinen Aktionen von einer einzigen politischen Richtlinie leiten lassen würde.

Die militärische Frage der Verteidigung und des Angriffs hängt von der politischen Frage ab und ist von ihr nicht zu trennen. Die Politik ist es, die die Wege und Ziele des militärischen Kampfes bestimmt. Wenn man die verletzte Demokratie verteidigen will, verteidigt man sich selbst nicht auf dieselbe Weise (und dies gilt für den Angriff in einem noch stärkeren Masse), wie wenn man sie zerstören und die Diktatur des Proletariats errichten will.

Man kann den feindlichen Kräften unmöglich eine wirksame und disziplinierte Kraft entgegenstellen, wenn man nicht im voraus weiss, welches der beiden Ziele man erreichen will und sich deshalb Zögern, Zweifel und Vorurteile in der Kampforganisation breit machen, die die weiteren Entwicklungsmöglichkeiten des Kampfes einschränken. Eine klare politische Linie oder, um einen in diesem Falle geeigneteren Terminus zu verwenden, eine klare Strategie ist überhaupt die Voraussetzung für eine mächtige, Kontinuität und Homogenität aufweisende praktische Aktion bzw. Taktik. Und diese klare Taktik wiederum ist die Voraussetzung für eine schlagkräftige und gefestigte Organisation.

Auch in diesem Bereich musste die Partei gegen den Strom schwimmen, das lastende Gewicht der schädlichen Traditionen der alten sozialistischen Partei, die sich nur negativ auf die Zentralisierung, Disziplin und organische Verbundenheit der Bewegung auswirken konnten, liquidieren und demzufolge mit einer Aufbautätigkeit ex novo beginnen. Man konnte und durfte vor allem zu Anfang die individuellen Aktionen und die am Rande der Bewegung entstehenden Initiativen nicht entmutigen, denn sie waren ein gesunder Ausdruck für die Kampfbereitschaft der einfachen Militanten und Arbeiter. Man musste jedoch dafür arbeiten, diese Aktionen in eine einheitliche, disziplinierte und also zentralisierte Organisation einzugliedern.

Angesichts der Dringlichkeit der Verteidigung des Proletariats war der kommunistische Jugendverband damit beauftragt worden, die ersten Kerne einer festen militärischen Organisation der Partei auf örtlicher Ebene zu organisieren und um sie die Proletarier zu scharen, die darauf brannten, ihre Kräfte, ihre auch technischen Fähigkeiten und ihren Kampfgeist in den Dienst des heiligen Krieges zu stellen, den die Arbeiterklasse allein gegen die Bourgeoisie und die aufgepeitschten Kleinbürger führen musste.

Die alte sozialistische Partei hatte sich als organisch unfähig erwiesen, auch nur dieses Minimum an praktischer Vorbereitung zu gewährleisten. Sie war von Natur aus unfähig hierzu, und es war nicht zu erwarten, dass sie es jemals tun würde. Die junge italienische Sektion der Kommunistischen Internationale musste den Proletariern also auch in dieser Beziehung zeigen, dass sie die einzige echte Kampforganisation ihrer Klasse war.

Blättert man die regionale Parteipresse der damaligen Zeit durch, so wird man feststellen, dass die Partei jenem Willen (und jener objektiven Notwendigkeit) die besten Energien der Arbeiterjugend um die Partei zusammenzufassen, wiederholt öffentlich und erklärtermassen Ausdruck verliehen hat. Ein Beispiel hierfür ist der Aufruf, den der Jugendverband (der immer seine gesamte Tätigkeit den zentralen Direktiven der Partei unterordnete) in Mailand herausgegeben hat und der unter der Verantwortung des Zentralkomitees des Jugendverbandes in Tausenden von Exemplaren verteilt wurde. Dieser Aufruf wurde am 17. 6. 1921 auch in »La Comune«, dem Organ der Kommunisten von Como, veröffentlicht:

 

»Junge Proletarier! Schreibt Euch in die Aktionsgruppen der kommunistischen Jugend ein!

 

Junge Arbeiter!

Während die bürgerliche Reaktion, die sich gegen euch entfesselt hat, schwächer zu werden scheint, während ihr glaubt, die Angriffe der kapitalistischen Söldner mit dem Wahlsieg vom 15. Mai zurückgedrängt zu haben, empfindet die kommunistische Jugend die Notwendigkeit, sich noch einmal ganz offen an euch zu wenden.

Sie sieht es als notwendig an, euch daran zu erinnern, dass alle Siege, die das Proletariat auf friedlichem und legalem Wege errungen hat, nur vorübergehende Siege gewesen sind, dass der Wahlsieg vom 19. November 1919 keineswegs das Vorspiel für die Machtergreifung des Proletariats gewesen ist, sondern vielmehr die bürgerliche Gegenoffensive eingeleitet hat, die sich auf einem sehr viel realistischeren und wirkungsvolleren Boden abgespielt hat: dem Boden der Klassengewalt.

Die kommunistische Jugend möchte euch an die schmerzlichen Erfahrungen erinnern, die in eurem Gedächtnis noch lebendig sein dürften. Sie möchte euch daran erinnern, dass einige Monate kapitalistischer Gewalttaten genügt haben, um dem Proletariat Positionen zu entreissen, die es durch langjährigen legalen Kampf endgültig erobert zu haben glaubte. Es könnte fatale Auswirkungen für die Arbeiterklasse haben, solche Illusionen heute weiter zu nähren. Die Arbeiterklasse muss begreifen, dass die Tatsache, dass die faschistische Reaktion sich heute abzuschwächen scheint, gerade darauf zurückzuführen ist, dass sie die proletarischen Organisationen soweit geschwächt zu haben glaubt, dass sie nicht mehr in der Lage sind, ihren einzigen und wirklichen Kampf zu führen: den revolutionären Kampf. Es hängt also absolut nicht damit zusammen, dass die bewaffneten faschistischen Banden etwa Angst hätten, sie könnten die 123 Abgeordneten der jetzigen Legislaturperiode nicht in der ausgiebigen Weise mit Stockschlägen traktieren wie sie es mit den 156 Abgeordneten der letzten Legislaturperiode getan haben.

 

Junge Arbeiter!

Überzeugt euch davon, dass die ›Lawine‹ von Wahlzetteln, von der die ›sozialistische‹ Partei so sehr begeistert ist, eine einzige Papierlawine ist, mit der man die organisierte und bewaffnete Macht der herrschenden Klasse nicht wird vernichten können. Dies ist einzig möglich mit Hilfe der organisierten und bewaffneten, aber unendlich zahlreicheren und daher mächtigeren Kraft des Proletariats!

 

Junge Arbeiter!

Der Bund der kommunistischen Jugend ruft euch dazu auf, unter seiner Fahne zu marschieren, der Fahne der Arbeiterjugend der ganzen Welt, der Fahne der Kommunistischen Internationale.

Er ruft euch dazu auf, euch zusammenzuschliessen, um die Avantgarde der revolutionären Offensive des Proletariats, die mit einer Gegenoffensive gegen den Faschismus beginnen wird, zu organisieren.

Marschiert mit uns, der jungen Garde des Kommunismus und der Weltrevolution!«

 

Aber die Partei war weit davon entfernt, ihre Ziele auf jene zwangsläufig mit Unterbrechungen erfolgenden Aktionen zur unmittelbaren und lokalen Verteidigung zu beschränken. In den unmittelbar auf die Spaltung von Livorno folgenden Monaten hatte man eine fieberhafte Tätigkeit zur politischen Festigung der Partei entwickelt. Und wenn auch die Teilnahme an den Wahlen – was die Linke vorausgesehen und bedauert hatte – wertvolle Energien in einer nicht nur sekundären, sondern Scheinschlacht (11) vergeudet hatte, so führte sie doch nicht etwa dazu, dass man jene grundlegende und hervorragende Arbeit unterbrochen und abgeändert hätte.

Gerade aufgrund ihrer festen und zentralisierten politischen Organisation hatte die Partei nach »aussen« hin das, ganze Spektrum der sie kennzeichnenden Aktivitäten entwickeln können, ohne dass den Proletariern jemals auch nur eine dieser Aktivitäten als losgelöst vom Programm der Moskauer Internationale und des Kongresses von Livorno erschienen wäre. Die intensive gewerkschaftliche Arbeit der Partei war ein typisches Beispiel hierfür. Der einheitliche oder, wie wir zu sagen pflegen, der organische Charakter der Partei kam klar und unmittelbar in der Tatsache zum Ausdruck, dass jede ihrer besonderen Aktivitäten das Gesamtprogramm widerspiegelte und mit allen anderen streng verbunden war. Jede einzelne Aktivität ordnete sich sozusagen als ein untrennbarer Bestandteil in das Räderwerk einer politischen und organisatorischen Maschinerie ein, die selbst nur einer einzigen Richtlinie gehorcht und auf ein einziges Ziel ausgerichtet ist. Darüber hinaus gingen alle diese Aktivitäten strahlenförmig und in perfekter Koordinierung vom Zentrum aus, um sozusagen als »verlängerter Arm« der Partei innerhalb der Arbeiterklasse zu wirken. Aus diesem Grunde gab es auch keine gewerkschaftlichen (oder anderen) Richtlinien, die nicht die politischen Aufgaben und Ziele der Partei in den Vordergrund gestellt oder die Notwendigkeit der direkten und gewaltsamen Aktion verschwiegen hätten.

Zu diesem wesentlichen Ergebnis war die Partei nur aufgrund eines entschiedenen Kampfes gelangt. Dieser Kampf richtete sich einerseits gegen die »autonomistischen« Gewohnheiten, die man von der alten sozialistischen Partei geerbt hatte und die bei ihren ehemaligen Militanten, die in Livorno in die kommunistischen Reihen übergetreten waren, nur mühsam auszulöschen waren. Andererseits betraf er die zwar grossmütige, aber deshalb nicht weniger negative Ungeduld, die vor allem durch die Härte der gegnerischen Offensive sowie durch die verführerischen Aufrufe der Sozialisten zur »Einheit«, die hierfür ihre proletarische Herkunft und Tradition auszuspielen versuchten, hervorgerufen wurden.

In dieser Hinsicht genügt es, daran zu erinnern, wie die – im übrigen seltenen – Verstösse gegen die Disziplin während der Wahlkampagne behandelt wurden und mit welcher Strenge das Exekutivkomitee der Partei schon am 20. März den Föderationen und Sektionen verbot, »mit anderen Parteien und politischen Strömungen (Republikanern, Sozialisten, Syndikalisten, Anarchisten) ständige oder vorübergehende Aktionsabkommen zu schliessen«. Dies geschah weniger, weil Bündnisse dieser Art überhaupt unzulässig wären, sondern vielmehr, weil die Partei sich versichern musste, dass diese Abkommen »nur innerhalb der Grenzen, für die Zwecke und unter den Bedingungen geschlossen werden, die die Parteizentrale festlegen und in den gegebenen Fällen mitteilen wird, um losgelöste und zersplitterte Aktionen zu vermeiden.« (Es versteht sich, dass diese Richtlinien natürlich nicht die Beziehungen zu den gewerkschaftlichen Organisationen betrafen).

Der Parlamentsgruppe der Partei wurde gemäss den 21 Aufnahmebedingungen der Internationale keinerlei Autonomie zugestanden. Die Gewerkschaftsgruppen gingen direkt von der Partei aus und fungierten als ihre Instrumente in den Gewerkschaften und Betrieben. Die militärische Organisation nun musste, was angesichts ihres Charakters und ihrer Ziele noch viel zwingender war, in genau demselben Verhältnis zur Partei stehen, d. h. sie musste als Parteinetz entstehen. Ihre Aufgabe war es, zu einem Anziehungspol für die kampfwilligen Arbeiter zu werden und sich als deren wirklicher Führer zu erweisen, was zur Voraussetzung hatte, dass ihre Ziele nicht mit denen anderer Organisationen verwechselt werden könnten und dass ihre praktische Aktion einheitlich bzw. ihre Organisation diszipliniert und wirksam wäre.

In »Il Comunista« vom 14. Juli wurde diese Richtschnur für die militärische Organisation der Partei genau festgelegt, wobei man die Organisierungsversuche, die von anderen Parteien oder Gruppen ausgingen, auf die wir im zweiten Teil dieser Arbeit näher eingehen werden (12), nicht aus den Augen verlor:

 

»Für die militärische Organisation der Partei

 

Ausgehend von der bereits an zahlreichen Orten geleisteten Arbeit zur militärischen Organisierung der Mitglieder und Sympathisanten der kommunistischen Partei und des Jugendverbandes und von der dadurch gewonnenen Erfahrung bereiten die Zentrale der Partei und des Jugendverbandes eine Mitteilung vor, die die Richtlinien, die bei dieser unerlässlichen Arbeit der revolutionären Organisierung und Vorbereitung überall zu beachten sind, enthalten wird. Da in der Zwischenzeit ausserhalb der kommunistischen Partei stehende Elemente in verschiedenen Teilen Italiens ähnliche Initiativen ergreifen, an denen die Partei aber nicht offiziell teilnimmt und für die sie auch nicht die Verantwortung trägt, müssen sämtliche Genossen diese Verordnungen abwarten, damit sie die Partei nicht schon vor vollendete lokale Tatsachen stellen, die dann den allgemeinen Richtlinien widersprechen würden.

Dies bedeutet, dass die Übungsarbeit der kommunistischen Militäreinheiten, wo es sie bereits gibt, fortgesetzt werden muss und dort, wo sie noch nicht begonnen wurde, in Angriff genommen werden muss. Bei dieser Arbeit gilt es strengstens zu berücksichtigen, dass die revolutionäre militärische Organisation des Proletariats auf Parteigrundlage erfolgen muss und mit dem Netz der politischen Organe der Partei streng verbunden sein muss. Die Kommunisten können und dürfen sich also an keiner militärischen Initiative beteiligen, die von anderen Parteien ausgeht oder ausserhalb ihrer Partei entsteht.

Die militärische Vorbereitung und die militärische Aktion verlangen eine Disziplin, die zumindest genauso gross ist wie die politische Disziplin der kommunistischen Partei. Man kann sich nicht zwei unterschiedlichen Disziplinen unterwerfen. Der Kommunist und ebenso der Sympathisant, der sich wirklich an die Partei gebunden fühlt (und wer nicht in der Partei kämpft, weil er in der Frage der Disziplin Vorbehalte hat, verdient nicht die Bezeichnung Sympathisant), können und dürfen infolgedessen keiner anderen militärischen Organisation angehören als derjenigen der Partei.

Bis zur Festlegung genauerer Richtlinien, die im übrigen nur mit Hilfe der praktischen Erfahrungen selbst immer besser ausgearbeitet werden können, gibt die kommunistische Partei an ihre Mitglieder und Anhänger die folgende Losung aus: Bildung von kommunistischen Militäreinheiten, die zur defensiven wie offensiven revolutionären militärischen Vorbereitung, Schulung und Aktion des Proletariats von der Partei geführt werden.«

In einer weiteren Ausgabe des »Il Comunista« (31. Juli) kommen dieselben – wie man sehen wird, erfolgreichen – Bemühungen zum Ausdruck, die gesunden Energien der Militanten durch eine einheitliche Disziplin zusammenzufassen und zu vermeiden, dass sie sich in chaotischen und unvorbereiteten Initiativen zersplittern, wie dies schon allzu oft in der Geschichte der italienischen Arbeiterbewegung geschehen war. Indem es gleichzeitig auf Fragen und Probleme, die an einigen Stellen aufgetreten waren, einging, schrieb das Exekutivkomitee der Partei:

 

»Militärische Organisation

 

Da wir von zahlreichen Briefen erreicht werden, die uns um Informationen bezüglich der Organisationsarbeit der Partei bitten, möchten wir die Genossen, die an der Spitze der Föderationen und Sektionen stehen, daran erinnern, (…) dass die Kommunisten sich an keiner ausserhalb der Partei entstehenden Initiative beteiligen dürfen. Bei dieser Gelegenheit möchten wir an unsere Auffassung der Disziplin erinnern, der sich alle Mitglieder einer kommunistischen Partei unterwerfen müssen. Wir möchten gegenüber den Genossen betonen, dass die Partei sich nur eine militärische Organisation schaffen und diese auch ihre Ziele nur erreichen kann, wenn die Parteimitglieder auf besondere taktische Standpunkte verzichten. Sie dürfen diese nur an den dafür geeigneten Orten (Versammlungen, Parteitagen) vertreten!

Die Anweisung, eine militärische Organisation der Partei zu schaffen, wurde vom Exekutivkomitee in Übereinstimmung mit dem Exekutivkomitee des Jugendverbandes gegeben und nicht nur von letzterem, wie manche fälschlicherweise geglaubt haben.

Die militärische Organisation der kommunistischen Partei Italiens ist nicht von uns ›erfunden‹ worden, um andere ähnliche Organisationen, wie sie heute geschaffen werden, nachzuahmen. Sie entspricht den Kriterien, nach denen sich die revolutionäre Organisation aller kommunistischen Parteien, die Mitglied der III. Internationale sind, vollzieht.

Wenn wir die militärische Organisierung nicht früher in Angriff genommen haben, so weil ihr notwendig die politische Organisierung vorausgehen muss und wir seit dem Kongress von Livorno uns vor allem letzterer widmen mussten. Auf keine dieser beiden Formen der Organisierung kann verzichtet werden und keine stellt ein Hindernis für die andere dar, vielmehr ergänzen sie sich gegenseitig.«

Diese Mitteilung verkündete ausserdem Richtlinien, die in »Il Comunista« vom 21.Juli unter dem Titel »Organisierung der kommunistischen Kräfte« veröffentlicht wurden. Diese Richtlinien waren Bestandteil einer umfassenden Arbeit, die auf eine genaue Festlegung und Abgrenzung der exekutiven Aufgaben der Partei und eine Stärkung derjenigen Organisation zielte, die diese Aufgaben wahrnehmen sollte. Sie betonten vor allem die »Organisationskriterien der Disziplin und der Hierarchie, die sich um so mehr verschärfen, je mehr man aufgrund der allgemeinen Entwicklung des proletarischen Kampfes von der Periode der theoretischen Kritik zur Periode der Propaganda und der Rekrutierung und schliesslich der Aktion und des Kampfes übergeht.«

Es wurde ebenfalls betont, dass »die bürgerliche Auffassung, laut der sich der Militante einer Partei darauf beschränkt, seine ideologische Zustimmung zu geben, seine Partei zu wählen und einen regelmässigen Geldbeitrag zu leisten«, mit der kommunistischen Auffassung unvereinbar ist, derzufolge »derjenige, der der Partei beitritt, dazu angehalten ist, eine den Bedürfnissen der Partei entsprechende kontinuierliche praktische Arbeit zu leisten.«

Was den besonderen Bereich der militärischen Organisierung anbelangt, so wurde der Beschluss verkündet, in allen Sektionen Militäreinheiten einzurichten. Diese Gruppen sollten sich »aus allen erwachsenen und jugendlichen Genossen (zusammensetzen), die physisch zu einer solchen Aufgabe in der Lage sind. (Sie sollten) sowohl ein geschriebene Mitglieder als auch Kandidaten umfassen, sowie auch diejenigen Sympathisanten, die keinen anderen politischen Parteien angehören, die ihre Treue gegenüber der kommunistischen Partei bewiesen und sich ausdrücklich dazu verpflichtet haben, die strengste Disziplin einzuhalten.«

Diese Einheiten sollten zu Kompanien vereinigt werden, die über ein Netz von regionalen Vertrauensleuten direkt mit der Zentrale verbunden werden sollten. Die technischen Einzelheiten dieser Organisation interessieren uns hier nicht. Was wir jedoch festhalten müssen, ist die Beharrlichkeit, mit welcher die Partei noch einmal daran erinnerte, »dass kein Mitglied der Partei oder des Jugendverbandes sich an anderen militärischen Organisationen, die nicht von der Partei gebildet und geleitet werden, beteiligen darf.«

Schon damals erblickten einige in diesen strengen Vorschriften (die zum selben Zeitpunkt wie die Richtlinien zur gewerkschaftlichen Arbeit gegeben wurden, was die ganze Breite und den organischen Charakter der gesamten Parteiarbeit zeigt) einen Beweis von »Schematismus, Sektierertum und Dogmatismus«. Sie meinten, uns dies insbesondere in bezug auf unsere politischen Beziehungen zu den anderen Parteien und Strömungen sowie auch in bezug auf unsere Haltung gegenüber deren »antifaschistischen« militärischen Ablegern vorwerfen zu können. Damit taten sie im übrigen nichts anderes, als das Geschrei und das Gestampfe, das die zukünftigen Theoretiker der »Partei neuen Typus«, d. h. die stalinistischen Opportunisten, später gegen die Linke loslassen sollten, bereits vorwegzunehmen. Der Partei jedoch, die damals geschlossen unter der Führung der Linken stand, ging es darum, eines der lebenswichtigsten Prinzipien zu verteidigen, nämlich das der Autonomie der Klassenpartei. Nun kann es aber keine ausschliesslich ideologische Unabhängigkeit geben. Die Unabhängigkeit ist entweder eine zugleich theoretische und praktische, oder es gibt sie ganz einfach nicht. In der damaligen Situation stimmten die theoretischen Auffassungen mehr denn je mit den praktischen Erwägungen überein, und beide schlossen das Bündnis mit denjenigen Kräften aus, in denen der marxistische Realismus Tatsachen in der Hand mit Recht die Helfershelfer der kapitalistischen Konterrevolution erkannte.

Genau zu der gleichen Zeit, da die Kommunistische Partei Italiens den Aufbau ihrer militärischen Organisation in Angriff nahm und die dabei zu beachtenden Richtlinien festlegte, fand in Moskau der III. Kongress der Kommunistischen Internationale statt (22. Juni – 12. Juli 1921). Er wurde von einer Delegation der PSI besucht (es handelte sich um die drei »Pilger« Lazzari, Maffi und Riboldi), die vergeblich – trotz der Spaltung von Livorno – vor dem Kongress die Aufnahme dieser Partei in die Internationale verlangte. Jenen Delegierten wurde damals ein recht kühler Empfang bereitet, sie wurden abgewiesen. Jedoch änderte die Internationale im Laufe der folgenden 12 Monate ihre Meinung und räumte trotz des Widerstands der Kommunistischen Partei Italiens ein, dass eine Fusion zwischen Kommunisten und Sozialisten (oder wenigstens eines Teils von ihnen) dann möglich wäre, wenn sich die alte Partei von der Rechten befreien würde. Wie falsch und gefährlich eine solche Position war, zeigt der Friedenspakt, den die Sozialisten unter der neuen Regierung mit dem Faschismus schliessen werden, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, wo das Proletariat und seine Organisationen die bislang wütendste Offensive der Schwarzhemden zu erleiden hatten. Auf die »Wiederaufnahme der faschistischen Offensive und den Friedenspakt« werden wir im folgenden Teil dieses Berichts eingehen.

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(1) Dieser Bericht wurde auf einer Generalversammlung der KP im April/Mai 1967 in Florenz vorgetragen.

(2) Der Historiker Gaetano Salvemini, der damals Sozialist war, hatte Giolitti den »Mafiaminister« genannt, weil dieser, der das gesamte Register der reformistischen Demokratie zu spielen wusste, sich zugleich auf die lokalen Mafiosi, vor allem im Süden Italiens, stützte, sei es, um Wahlergebnisse zu fälschen, sei es, um sich fügsame Kommunalverwaltungen zu sichern, sei es schliesslich um die Landarbeiter mit der offenen Gewalt der »mazzieri« (Leibwachen). einzuschüchtern.

(3) Wir verweisen in diesem Zusammenhang auch auf den Bericht von Bordiga vor dem IV. Kongress der Komintern.

(4) Am 21. November 1920 stürmten die Faschisten das Rathaus von Bologna, in dem sich die neue sozialistische Verwaltung nach einem triumphalen Wahlerfolg soeben eingerichtet hatte. Die darauffolgende Schiesserei forderte 9 Tote und 100 Verletzte. Was die Arbeitskammern angeht, so waren es Organisationen, die auf Stadt- und Provinz- ebene die Arbeiter der verschiedenen Gewerkschaften an der Basis zusammenfassten.

(5) Arditi waren die Mitglieder der Sturmbrigaden, die für den 1. Weltkrieg gebildet wurden. Beim Unternehmen von Fiume handelte es sich um die Besetzung der Stadt Fiume – die nach dem Krieg Jugoslawien zugesprochen worden war – durch die von D’Annunzio geführten nationalistischen Kräfte (Vorläufer des Faschismus). Die dort errichtete Regierung dauerte von 1919 bis Ende 1920, als die italienische Zentralregierung nach einem Arrangement mit Jugoslawien dem Abenteuer ein Ende setzte. Sie hatte eindeutige korporativistische Züge und diente der späteren faschistischen Regierung als Vorbild.

(6) L’Ordine Nuovo war eine Turiner Fraktion der sozialistischen Partei, die idealistische und ouvrièristische Auffassungen vertrat. Sie wurde von Gramsci und Togliatti geführt und schloss sich der wahlboykottistischen Fraktion an für die Gründung der Kommunistischen Partei in Livorno. Bis zum Beginn der Entartung der Komintern kämpften die Ordinovisten diszipliniert in der Partei (Gramsci sagte rückblickend, er wäre dabei gewesen, sich in den besten »Bordigisten« zu verwandeln), ihre ehemaligen Führer wurden dann aber zu den Strohmännern Moskaus gegen die Linke. Zum »Ordine Nuovo« siehe »Thesen von Lyon« (KP 14) und den 2. Teil der Schrift über den »Linksradikalismus« (KP 20).

(7) So fragte Gramsci einmal: »Was bedeutet es vom Verfassungsstandpunkt aus, wenn man behauptet, dass ein gegebener Staat keine Demokratie, sondern eine Klassendiktatur ist?« Und er antwortete: »Dies bedeutet, dass die öffentlichen Gewalten, die Exekutive, die Legislative und die Judikative, nicht voneinander getrennt und unabhängig, sondern zusammengefasst sind zu einer einzigen Gewalt, der Exekutive«. Als handele es sich bei dem Begriff »Klassendiktatur« um eine Verfassungsfrage und nicht um eine soziale und gesellschaftliche Frage!

(8) FIOM = Italienischer Metallarbeiterverband.

(9) Wir können im Rahmen dieser Arbeit nicht auf die äusserst aktuelle und lehrreiche Gewerkschaftstätigkeit der KPI in den Jahren, in denen sie von der Linken geführt wurde, eingehen. Eine ausführliche Dokumentation ist in den Nr. 16 ff. 1967, von »Il Programma Comunista« zu finden und soll von uns nach Abschluss dieser Reihe gekürzt veröffentlicht werden.

(10) »Als Kommunist« – erklärte der Vertreter der Linken – »bin ich zunächst Zentralist und erst dann Wahlboykottist«. Und er fügte hinzu, dass der revolutionäre Parlamentarismus, wenn er einen Sinn hätte, dann gerade in einer reaktionären Situation wie 1921.

(11) Zumal da der Rückgriff auf die Wahlen den herrschenden Klassen als Deck- und Schutzmantel für die Vorbereitung einer zweiten und noch grausameren bewaffneten Offensive gegen die proletarische Bewegung diente.

(12) Vorwegnehmend sei aber gesagt, dass hier die Initiativen der »Arditi del Popolo«, militärische Organisationen banaler antifaschistischer Prägung, gemeint sind.

 

 

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